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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: OZEANÜBERQUERUNG

Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: OZEANÜBERQUERUNG

Interview zwischen T und Juliane Kästner

Alter 55 Beruflich tätig als Informatiker
Geschlechtsidentität männlich Arbeitsort zu Hause
Sexuelle Orientierung heterosexuell Beziehungsstatus verheiratet

 

1. Wie geht es dir?

Was die Liebe angeht, ist alles in Ordnung. Man könnte sagen, es ist sogar besser. Ich bin jetzt die ganze Zeit zu Hause und es gibt keine Unterbrechungen durch meine vielen sonstigen Abwesenheiten.

2. Wie kommunizierst du im Moment mit deiner Partnerin?

Wir sind beide im Homeoffice und reden daher auch mehr miteinander. Solch eine lange Zeit zusammen haben wir eher selten.

3. Was hat sich in deiner Beziehung mit deiner Partnerin seit dem LockDown geändert?

In der Beziehung selbst hast sich nicht viel verändert. Durch das ganze Infektionsgefahr-Getöse vermeiden wir aber den körperlichen Kontakt. Wir sind unsere eigene Blase. Aber wenn das noch lange so weiter geht, wird sich das sicher noch ändern. Es hat sich einfach so ergeben. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

4. Was schätzt du in deiner Beziehung im Moment am meisten? Was vermisst du?

Wir verbringen quasi 24 Stunden miteinander. Das ist schon eine andere Situation, als wenn beide zur Arbeit gehen. Es ist so ähnlich, als würde man die Zeit zusammen auf einem Segelboot verbringen. Auf einem solchen gibt es einen relativ engen Raum und man ist immer mit denselben Menschen zusammen.

Man muss sich halt ein bisschen organisieren, sich Strukturen geben. Wer sich wo einrichtet, damit man dann quasi auch “ins Büro gehen” kann.

Das Beeindruckende an der ganzen Sache ist ja, dass man nicht weiss, wie lange es noch geht. Es ist nicht so etwas wie Ferien, in denen man für drei Wochen zusammen verreist und dann bald schon das Ende auf sich zukommen sieht.

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Das wird sich wahrscheinlich erst entwickeln. Ich habe im Moment noch gar nicht richtig identifiziert, was das ist. Vielleicht müssten wir dasselbe Interview noch einmal führen, wenn der “Normalzustand” wieder eingekehrt ist. Falls das jemals wieder kommen wird.

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Ich glaube, es gibt einen grossen Teil in der Community, dem jetzt bewusst wird, was in den letzten zehn, zwanzig Jahren alles schief gelaufen ist. Durch Respektlosigkeit den Menschen und der Natur gegenüber.

Der Hauptgrund, warum wir das Ganze hier veranstalten, liegt ja darin, dass wir nicht ein Volk von Krankenpflegern sind, sondern ein Volk von irgendwelchen anderen Berufen. Die essentiellen Berufe für unser Überleben kommen eigentlich zu kurz und diese Erkenntnis kommt jetzt zum Vorschein. Wenn wir viel Glück haben, werden sich noch einige Menschen daran erinnern, wenn das alles einmal vorbei ist. Bei den meisten Menschen wird es wahrscheinlich nicht im Gedächtnis bleiben.

Mir fehlt die generationenübergreifende Solidarität. Das ist es, was mich am meisten aufregt, wenn ich diese Thematik auf Twitter oder anderen, etwas moderneren Kanälen verfolge. In dieser konkreten Situation, mit dieser Pandemie, ist es ja so, dass die Jungen den Alten beliebig viel schaden können. Und teilweise geht das sogar so weit, dass sie das bewusst in Kauf nehmen – Stichwort “Boomer Remover”. Das gibt zu denken. Wie sieht es dann in diesen Köpfen aus bei Dingen, die viel weniger dramatisch sind?

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Liebe gehört zu den essentiellen Dingen, auf die wir uns besinnen müssen. Wertschätzung oder zumindest die Abwesenheit von Hass wäre schon einmal eine grosse Errungenschaft.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

Es ist wie eine Ozeanüberquerung mit einem kleinen Segelboot, aber man weiss nicht, wo der Ozean aufhört. Wir sind überzeugt, dass am anderen Ende Land ist, aber wir wissen nicht, wie wir da hinkommen. Einfach immer geradeaus.

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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: EINGESPERRT SEIN

Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: EINGESPERRT SEIN

Interview zwischen C und Juliane Kästner

Alter 72 Beruflich tätig als Rentnerin
Geschlechtsidentität weiblich Arbeitsort keiner
Sexuelle Orientierung heterosexuell Beziehungsstatus verheiratet

 

1. Wie geht es dir?

Ich bin mit Widersprüchen konfrontiert. Aufgrund meines Alters und meiner Krebserkrankung gehöre ich zur Risikogruppe und bin dazu verdonnert, zuhause zu bleiben. Ich dürfte nicht einmal einkaufen gehen. Erst wurde gesagt, man solle alle Arztbesuche vermeiden und lediglich bei Problemen anrufen. Und dann kommt die Aussage, man solle Arztbesuche nicht auf die lange Bank schieben.

Nun bin ich ein Mensch, der nicht gern unnötig zum Arzt geht. Eigentlich stehen seit einiger Zeit wichtige Untersuchungen an. So wie es sich darstellt, habe ich den Eindruck, dass die Massnahmen von den Politikern nicht in allen Einzelheiten durchdacht wurden.

Und wir geht es mir mit Corona? Ich fühle mich eingesperrt. Das halte ich eine Weile aus, aber dann sehe ich draussen auch das schöne Wetter.

Und mit der unmittelbaren Kontaktaufnahme zu Verwandten oder Bekannten ist es schwierig. Man kann über WhatApp oder Telefon ja nicht wirklich ausführliche Unterhaltungen führen im Gegensatz dazu, wenn man intensiven, persönlichen Kontakt hat.

2. Wie kommunizierst du im Moment mit deinem Partner?

(lacht) Na ja, wir leben ja in einer über 50-jährigen Ehe. Da wird bloss über das Nötigste gesprochen, über die Probleme, die durch die Corona-Pandemie entstehen und wie man zuhause funktioniert.

3. Was hat sich in deiner Beziehung mit deinem Partner seit dem LockDown geändert?

Wir versuchen, etliches gemeinsam zu unternehmen, wie Spiele zu spielen oder die neuesten Corona-Nachrichten anzuschauen. Aber bereits das Wort “Corona” nervt mich nun mit der Zeit.

Ich bin ein bisschen gereizt. Bei Dingen, die ich in der Ehe toleriert habe, kommt es vereinzelt zu Auseinandersetzungen. Ich kann meinen Partner ja nicht so umwandeln, wie ich es gern möchte. Er ist so, wie er ist.

4. Was schätzt du in deiner Beziehung im Moment am meisten? Was vermisst du?

Nach der langen Ehe geht einiges an Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme verloren. Es kommt mir momentan mehr zu Bewusstsein, was mir am Anderen eigentlich fehlt, mehr Zärtlichkeit und eine liebevoller Umgang miteinander. Alles ist so rational.

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Ich habe in den ganzen zurückliegenden Jahren oft versucht, etwas zu verändern. Jedoch blieb mir vieles durch die finanzielle Abhängigkeit verwehrt.

Manchmal zweifle ich an mir selbst. Vielleicht sind meine Erwartungen zu hoch. Mein Partner kann mir gar nicht bieten, was ich mir vorstelle und wünsche. Er ist auch ein Menschen und kann oder will gar nicht darüber nachdenken, wie er etwas verändern könnte. Er ist vielleicht auch sehr von sich selbst überzeugt.

Mein Partner hilft und macht viel, aber in einer Art von Pflichtbewusstsein. Mir fehlt dabei die innere Zuneigung, Wärme und Liebenswürdigkeit.

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Bei uns Menschen müsste sich der Horizont gewaltig erweitern. Ich habe das gerade dieses Wochenende erlebt. Wir leben an einer Landstrasse und ich habe mich gefragt, ob die jungen Menschen das Bewusstsein zur Natur noch nicht entwickelt haben. Es war ein solch reges Verkehrsaufkommen, so dass wir in unserem Garten nur noch eine Dröhnen von Motoren gehört haben. Die Menschen wollten das schöne Wetter nutzten und liessen sich nicht einschränken. Was sie damit der Natur antun, ist ihnen dabei wahrscheinlich gar nicht bewusst.

Und was den Umgang unter uns Menschen betrifft? Da wir einen Hund haben, geht mein Mann viel in die Natur. Er trifft während seinen Spaziergängen nun fremde Menschen an, die mit ihm auch mehr ins Gespräch kommen. Sie sind zugänglicher und bieten Hilfe an. Das gab es früher nie. Die Solidarität unter den Menschen in der Nachbarschaft ist grösster geworden.

Aber weitergedacht, international. Da kommt es auf die Generation an. Ich finde, dass die jungen Leute offener sind als die älteren. Die Alten sind eingefahren mit ihrer Ausländerfeindlichkeit und ihrem Egoismus. Alle sehen im Fernsehen, wie es den Flüchtlingen geht oder auch den Frauen.

Frauen und Kinder sind die Leidtragenden und Opfer dieser ganzen Misere. Aber warum ist es so, dass Männer ihre ganze Frust an den vermeintlich Schwächeren auslassen? Es wird gar nicht anerkennt, dass Frauen eigentlich viel mehr Kraft als Männer haben, sich durch Notsituationen zu manövrieren. Die Männer sind eher die Weicheier, die sich gehen lassen. (lacht)

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Liebe ist für mich ein grosser Begriff. Die Menschen sind sehr hartherzig geworden, egal in welchem Land sie leben. Die Welt hat sie so geformt. Liebe fängt in der Nächstenliebe an.

Und ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn sich die verschiedenen Länder untereinander besser verstehen würden. Es gibt so viele Feindbilder. Aber wer erzeugt diese denn? Sicher nicht das “gemeine” Volk. Diese Feinbilder werden eher aus Machtansprüchen, aus Profitgier erzeugt.

Liebe auch über Landesgrenzen hinweg ist, sich nichts Böses anzutun. Rücksicht zu nehmen und untereinander hilfsbereit zu sein.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

Eingesperrt sein.

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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: IN VERÄNDERUNG

Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: IN VERÄNDERUNG

Interview zwischen B und Juliane Kästner

Alter 56 Beruflich tätig als Sozialarbeiterin & Musikerin
Geschlechtsidentität weiblich Arbeitsort im Büro
Sexuelle Orientierung heterosexuell Beziehungsstatus single

 

1. Wie geht es dir?

Ich habe momentan ein bisschen den Eindruck, dass ich meine Freundschaften ziemlich zusammenhalten muss, dass es vor allem an mir liegt, aktiv zu werden. Das finde ich anstrengend.

Der Unterschied zur der Zeit, als ich noch in einer Beziehung war, ist, dass die Paartreffen wegfallen. Ich werde als Single auch nicht mehr von befreundeten Paaren eingeladen und habe mich jetzt auf Frauenfreundschaften reduziert.

Deswegen bin ich auch zunehmend ein bisschen ranzig. Ich stelle fest, dass sich die Menschen extrem in ihr kleines Refugium zurückziehen. Sie nehmen die Massnahmen des Bundesrats ernster, als sie eigentlich kommuniziert worden. Es hat für mich den Anschein, dass ich als Alleinstehende hinten runter falle, dass ich noch mehr als sonst kämpfen muss, dass ich nicht allein bin.

Wie fühlst du dich dabei?

Es macht mich traurig, ratlos, einsam, ärgerlich. Ich stelle mir Fragen. Trennt sich jetzt die Spreu vom Weizen? Wird sich in diesen Wochen zeigen, wer wirklich eine Freundin ist?

Für mich ist dies eine existenzielle Zeit. Ich befinde mich in einer Metamorphose und habe es noch nicht geschafft, die Chance, die die Corona-Zeit eigentlich in sich trägt, zu nutzen. Ich könnte diesen Rückzug auch geniessen und wirklich auskosten. Ich könnte in meinen vier Wänden mehr singen, mehr Klavier spielen, mehr lesen. Aber das schaffe ich noch nicht so ganz, weil ich die Befürchtung habe, abgehängt zu werden.

2. Wie kommunizierst du im Moment mit deiner Aussenwelt?

Generell kommuniziere ich weniger als vorher. Ich bemühe mich um gemeinsame Treffen. Wenn das nicht geht, dann sprechen wir halt übers Telefon oder benutzen WhatsApp. Aber das ist kein würdiger Ersatz.

3. Was hat sich in deiner Beziehung mit deinen Freundinnen seit dem LockDown geändert?

Ich hatte gestern via Telefon einen kleinen Streit mit einer sehr guten Freundin. Sie fährt am Wochenende mit ihrer Partnerin auf einen Campingplatz. Ich habe deutlich durchblicken lassen, dass es für mich als Single im Moment schwierig ist. Sie möchte sich aktuell aber nicht mit mir treffen. Und ich hatte Schwierigkeiten, das zu akzeptieren. Treffen zu zweit sind ja nicht verboten, wenn man in einem grösseren Abstand zusammen spazieren geht.

In diesem Moment hatte ich den Eindruck, dass ich mir das eigene Grab schaufle, wenn ich beleidigt oder verletzt bin und daraus meine Konsequenzen ziehe. Ich versuche, diese Zeit irgendwie durchzustehen und hoffe, dass ich nachher wieder an den Status der Freundschaft anknüpfen kann, den er vorher hatte. Jetzt allgemein Schlüsse auf die Qualität der Freundschaften zu ziehen, wäre fatal.

4. Meine nächste Frage, was du du in deinen Freundschaften im Moment am meisten schätzt und was du vermisst, ist jetzt wohl überflüssig?

Ich glaube, es ist so ein allgemeines Verunsichertsein, so ein bisschen wie das Kaninchen vor der Schlange. Ich gehöre ja nicht zu denen, die jetzt zum Beispiel das Familienleben mehr schätzen lernen, weil sie durch die geschlossenen Schulen mehr daheim sind. Bei mir ist alles weiter weg, wie im Nebel. Wenn man sich sieht, dann mit viel Abstand und ohne Umarmung. Für das bin ich nicht wahnsinnig dankbar.

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Vielleicht, dass ich es mehr zu mir nehmen muss. Ich darf die Menschen jetzt nicht verurteilen und mich auch nicht von meinen eigenen Interpretationen verführen lassen. Ich sollte nicht von Beziehungen abhängig sein und mehr in mir selbst ruhen, egal wie oft sich die Anderen melden.

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Ich kann das nur im Kleinen beantworten. Ein liebevoller Umgang unter uns Menschen bedeutet für mich, Interesse am Anderen zu zeigen, Empathie zu schenken, füreinander da zu sein. Einem Menschen zeigen, dass er wertgeschätzt und wichtig ist, dass es eine Bedeutung hat, dass er da ist und ihn wertfrei nehmen. Ein solcher Umgang im Kleinen würde sich dann auch potenziert auf der Makroebene auswirken – von nationaler auf internationaler Ebene.

Was die Natur betrifft, so hören wir Botschaften wie die, dass sich die Luftqualität verbessert hat. Das berührt mich positiv. Vielleicht fliegen wir nun nicht mehr mal eben über das Wochenende nach New York zum Einkaufen. Oder vielleicht haben wir festgestellt, dass uns ein weniger zu fliegen auch nicht unglücklich macht.

Möglicherweise gibt es jedoch nach der Pandemie einen Nachholeffekt. Ich mache mir keine Illusionen, dass sich das Verhalten der Menschen innerhalb weniger Wochen grundlegend verändert hat.

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Vielleicht im weitergefassten Sinne. Was mir jetzt auffällt ist, dass das Tempo geringer geworden ist, das Tempo des Gehens, des Angetriebenseins. Alles ist heruntergefahren. Wenn es dazu führen könnte, dass wir achtsamer und besonnener miteinander umgehen und einander mehr zuhören, einander zugewandt sind und nicht aneinander vorbeihasten, sondern uns anschauen, dann würde mich das freuen.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

Das Wort wäre “in Veränderung”. Das Bild: Ich gehe durch ein Nebeldickicht und sehe bereits das strahlende Licht.

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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: FLICKENTEPPICH

Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: FLICKENTEPPICH

Interview zwischen L und Juliane Kästner

Alter 22 Beruflich tätig als Kellner*in
Geschlechtsidentität non-binäre Transperson Arbeitsort keiner, da von Massnahmen des Bundes betroffen
Sexuelle Orientierung alle Menschen ausser CIS-Männer Beziehungsstatus Beziehung mit mehreren Menschen

 

1. Wie geht es dir?

Es ist ein Auf und Ab. Zum Teil finde ich die Situation für mich persönlich mega cool, weil es mir die Möglichkeit gibt, sehr viel Zeit mit meinen Mitbewohner*innen zu verbringen und Dinge im Haus zu erledigen. Zum Teil drehe ich fast durch, weil ich unbedingt nach draussen muss. Ich sehe all meine Leute nicht mehr und spüre dies emotional und körperlich.

2. Wie kommunizierst du im Moment mit deinen Partner*innen?

Wir telefonieren miteinander, wir schreiben uns über WhatsApp oder Telegram. Das habe ich früher nicht so gemacht. Aber wir machen nun ab, um miteinander zu telefonieren. Und dann sprechen wir für einige Stunden.

3. Was hat sich in deinen Beziehungen mit deinen Partner*innen seit dem LockDown geändert?

Es fühlt sich völlig anders an, wenn man sich nicht sehen kann. Oder wenn man sich in einer Distanz von zwei Metern gegenübersitzt.

Wie fühlt sich das für dich an?

Wenn du mit jemandem abhängst und du merkst, dass du dir bald nichts mehr zu sagen hast, beide ruhig werden, dann wird es komisch und peinlich. Das kann ich normalerweise durch Körperlichkeit überbrücken. Doch das fällt jetzt völlig weg.

Ich hatte letztens auch ein erstes Tinder-Date via Telefon. Und darin kam es häufiger vor, dass wir beide nichts gesagt haben. Aber erstaunlicherweise hat es sich für mich nicht seltsamer angefühlt als ein normales Date. Vor allem von der Länge der Stille. Aber es ist ein komisches Gefühl, wenn du die Person nicht siehst und nicht merkst, wie sie körperlich reagiert. In etablierten Beziehungen dagegen fühlt sich die Stille nicht komisch an.

Du sagst, dass du deine Leute nicht mehr siehst. Hat sich in dir oder in diesen Freundschaften etwas verändert?

Auch wenn Zürich nicht so klein ist, passiert es mir doch immer wieder, dass ich in der Stadt zufällig Freund*innen treffe. Ich habe auch mit einigen Menschen freundschaftliche Beziehungen, bei denen ich mich zwanzig Minuten vorher anmelde und dann zu ihnen nach Hause gehe. All das findet nicht mehr statt. Die Spontaneität als Grundlage dieser Beziehung fällt weg.

Bei den Leuten, mit denen ich Kontakt habe, fehlt mir die Umarmung, wenn wir uns begegnen. Oder wenn ich mit einer Person in einer romantischen Beziehung bin, all das Körperliche und Intime fehlt mir mega fest.

Melden sich deine Freund*innen jetzt weniger bei dir? Oder meldest du dich weniger bei ihnen?

Beides. Ich finde es sehr schwierig einzuschätzen, ob unsere virtuellen Begegnungen wirklich auf Zustimmung stossen. Wenn man sich schreibt, ist ein enthusiastisches “Ja” nicht leicht heraus zu spüren.

4. Was schätzt du in deinen Beziehungen im Moment am meisten? Was vermisst du?

Die Art und Weise, wie ich über meine diversen Beziehungen nachdenke, hat sich verändert. Gerade in meinen freundschaftlichen Beziehungen habe ich das Gefühl, dass ich nicht sehr körperlich bin. Weil es mir aber momentan so auffällt, wir stark mir der Körperkontakt fehlt, denke ich anders darüber. Umarmungen zur Begrüssung oder schon das Nebeneinandersitzen in geringer Distanz haben eine andere Qualität als vorher.

Mit einer Person, mit der ich in einer romantischen Beziehung bin, habe ich diskutiert, wie wir dies in den nächsten Monaten angehen wollen. Wir haben dann beschlossen, dass wir Körperkontakt haben wollen. Einige Tage später rief sie mich noch einmal an und war recht durch den Wind. Sie hatte das Gefühl, dass sie mir etwas zugesagt hatte, dass sie nicht einhalten kann. Dieses Gespräch habe ich mega geschätzt, weil es für sie sehr streng war, das anzusprechen. Aber sie hat es trotzdem gemacht. Und auch, dass wir wirklich sehr offen über unsere Erwartungen, Gefühle und Grenzen diskutieren konnten. Obwohl wir über das Telefon miteinander sprachen.

Ich wünschte mir auch, dass ich nicht so viel Zeit für mich allein hätte. Dann wäre ich weniger in meinem Kopf drin und würde nicht die ganze Zeit daran denken, was gut und was nicht gut läuft. Ich habe den Eindruck, dass ich mich zum Teil in diese Gedanken hineinsteigere und dies eine gewisse Eigendynamik annimmt. Es ist momentan halt viel schwieriger, meine Gedanken mit meinem Gegenüber abzugleichen. Sei das wegen der Form oder der Häufigkeit unserer Gespräche.

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Ich werde sicher die kleinen Körperlichkeiten in all meinen Beziehungen mehr schätzen. Und ich werde so oft als möglich nach draussen gehen, sobald das wieder möglich ist. (lacht)

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Was ich sehr spannend finde, sind die weltweiten Aktionen, in denen irgendwelche beliebigen Leute anderen Berufsgruppen applaudieren. Das ist für mich ein gesellschaftliches Momentum, in dem man Zuneigung, Dankbarkeit und Liebe ausdrückt. Aber es ist eine leere Geste. Für die Menschen, die betroffen sind, macht das im besten Fall nur zwei Minuten ihres strengen Alltags besser. Während es seit Jahren Forderungen gibt, mehr Personal im Gesundheitswesen einzustellen, den Lohn zu erhöhen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. So dass man durch materielle auch gesellschaftliche Anerkennung erhält.

Dies war für mich auch eine Lernphase. Es geht nicht darum, was ich in meinen Beziehungen an leeren Gesten zeige, um mich selbst darüber zu profilieren. Sondern es geht darum, meinen Leuten etwas Gutes zu tun. Und das zu tun, was sie auch wollen und brauchen, auch wenn es nicht unbedingt das ist, was für mich am einfachsten oder bequemsten ist.

Ich wünsche mir auch, dass wir anfangen, starke Communities aufzubauen, die sich gegenseitig stützen und schützen. Es gibt verschiedene weltweite Bewegungen, in denen Menschen aufgrund einer Notsituation zusammen kommen. Und so sollten wir uns auch in Zukunft organisieren, sowohl als Menschen untereinander, aber auch als Menschen mit der Natur.

Wir müssen uns als Gesellschaft, also die Menschen in der Gesellschaft – nicht irgendwelche Banken oder Unternehmen –  überlegen, welche Arbeit wir brauchen. Das ist sehr viel emotionale Arbeit, Care-Arbeit, Arbeit im Gesundheitsbereich, der Lebensmittelproduktion und so weiter. Diese wiederum sollte kollektiviert werden. Unnötige Arbeiten, die Bullshit-Jobs, brauchen wir nicht. Wenn wir unsere Arbeitskraft nicht mehr verkaufen müssen, um unsere Rechnungen zahlen oder um uns unser Gesundheitssystem leisten zu können, dann sind wir auch nicht mehr darauf angewiesen, diese Bullshit-Jobs zu machen. Wir könnten dann Arbeit verrichten, die wir gesellschaftlich wirklich benötigen. Die Produktion ist dann nicht mehr profitorientiert, sondern bedürfnisorientiert. Der Besitz von Häusern bis hin zu Spitälern geht an uns als Gesellschaft über.

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Ja. Setzt Euch mit Eurem Shit auseinander. Ich richte das natürlich auch an mich. Ich muss mich damit auseinander, was mich unsicher oder was mir Angst macht. Es ist nicht fair, diese Unsicherheiten und Ängste anderen aufzuzwingen.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

Ein Flickenteppich, der aus warmen Farben besteht.

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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: NACHDENKLICH

Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: NACHDENKLICH

Interview zwischen R und Juliane Kästner

Alter 41 Beruflich tätig als Unternehmensberater
Geschlechtsidentität männlich Arbeitsort im Büro / zu Hause
Sexuelle Orientierung heterosexuell Beziehungsstatus feste Beziehung 

 

1. Wie geht es dir?

Mir geht es momentan recht gut. Corona hat auf mich keine extremen Auswirkungen. Es fühlt sich für mich in einigen Bereichen eher nach einer Einschränkung an. Die Möglichkeiten fehlen mir. Ich hatte vorher eine Phase, in der ich meine Partnerin bei einer Semesterarbeit unterstütze. Dadurch waren auch die Wochenenden recht intensiv. Und die Abwechslung, die mir in dieser Zeit fehlte, fehlt mir jetzt gerade umso mehr.

Ich nutze aber die Zeit, um Themen anzugehen, die ich vorher schon länger im Kopf hatte. Wir spielen jetzt zum Beispiel zu Hause mehr Brettspiele am Abend, anstatt Fernsehen. Ich entdecke langsam ein Interesse am Kochen. Es fällt mir momentan auch einfacher, wieder ins Intervall-Essen zu kommen. Und ich meditiere intensiver, eine Stunde am Tag.

Die aktuelle Zeit empfinde ich als Rückzugsphase. Und sie dient mir gleichzeitig als Katalysator, sowohl beruflich als auch im Privaten. Es kommen sehr viele Spannungen und Emotionen hoch, die vorher bereits vorhanden waren, aber jetzt greifbarer werden. Ich schätze das sehr.

Wie gehst du mit diesen Spannungen um?

Auflösen von Spannungen heisst konkret für mich, dass ich erst einmal akzeptiere, dass sie da sind, dass ich sie wahrnehme. Ich bemerke auch mehr und mehr, dass es beziehungstechnische Dinge gibt, die mich sehr stark in die Vergangenheit ziehen. Das bringt mich und unsere Beziehung aber nicht weiter.

Die Corona-Krise bietet mir die Möglichkeit, mich selbst auf den Prüfstand zu stellen, an diese Themen heranzugehen und sie zu klären. Ein Ausweichen wird immer schwieriger. Ich spüre in mich hinein und stelle mir Fragen. Was läuft gerade? Was kommt da hoch? Will ich überhaupt darauf eingehen? Wie könnte ich mich einmal anders verhalten? Und dann gibt es auch ein neues Ergebnis.

Ich adressiere öfter, was mir wichtig ist. Ich grenze mich mehr ab, um mir Zeit für mich selbst zu nehmen.

Du gehst bereits auf die zweite und dritte Frage über. (lacht) Wie du momentan mit deiner Partnerin kommunizierst und was sich seit dem LockDown in eurer Beziehung verändert hat.

Wir haben morgens mehr Zeit füreinander. Abends gehe ich zum Teil eher nach Hause, so dass wir noch zusammen essen können. Wie auch schon vorher, stimmen wir uns zum Beispiel über WhatApp terminlich miteinander ab. Das hängt aber stark davon ab, wie ich eingebunden bin. Es ändert sich dahingehend, dass ich glaube, dass die Abstimmung für uns noch wichtiger wird. Was läuft am Abend, was habe ich noch?

4. Was schätzt du in deiner Beziehung im Moment am meisten? Was vermisst du?

Ich habe gemerkt, dass wir uns über das Thematische immer wieder gemeinsam unterhalten können. Das schätze ich enorm. Weil ich einfach merke, dass das, was ich in meiner Unternehmensberatung als Wegbegleiter zur Veränderung der Arbeitswelt und persönlichen Transformation mache, letztlich nur eine Ausprägung ist. Und das lege ich dann am Abend ja nicht einfach ab.

Die wirkliche Herausforderung für uns als Paar ist der Alltag, in dem vieles verloren geht. Nachdem wir einzelne Spannungen abgebaut haben, ist zwischen uns jetzt wieder mehr echte Nähe möglich. Die ständige Ablenkung fällt weg. Du wirst gezwungen, dich mehr miteinander zu beschäftigen. Und das finde ich durchaus sehr schön.

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Das ist für mich jetzt wie ein Beginn. Es gibt zwei Sichten auf die Krise. Einige unter uns hoffen, dass diese Zeit bald vorbei ist. Aus der transformativen Sicht ist es für mich persönlich, für die Wirtschaft und für viele andere Menschen wahrscheinlich gut, wenn dieser Zustand noch weiter andauert.

Ich möchte das Kochen, das Intervall-Essen und all das, was wir in unserer Beziehung begonnen haben uns gezwungenermassen anzugewöhnen, weiter kultivieren.

Wie verhinderst du, dass diese Dinge vergessen gehen, wenn ihr nach der Aufhebung der Massnahmen durch den Bundesrat wieder in euer “altes” Leben zurückkehrt?

Kurz bevor die Krise angefangen hat, hatten wir uns gegenseitig vorgeschlagen, ein Kanban Board anzulegen, um sich diese Dinge vor Augen zu halten. Es liegt an mir und erfordert einfach mehr Initiative und Planung. Dadurch gewinne ich auch wieder Energie, die ich vorher im Alltag nicht hatte.

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Eine Utopie, da bin ich dabei.

Wieso Utopie?

Man könnte sich ja auch an die Dystopie anlehnen. Aber ich bin jemand, der sich lieber an einer Utopie ausrichtet. Ich glaube, dass ich meine Realität selbst erschaffe und einen Einfluss darauf habe.

Ich denke, dass einige Menschen – gerade in den westlichen Ländern – bereits an dem Punkt angelangt sind, an dem sie merken, dass es so nicht weiter geht. Die Krise beschleunigt die Transformation. Es werden sich mehr Menschen die Sinnfrage stellen. Hat das alles, was wir aufgebaut haben, wirklich den Wert und Nutzen? Es ist ja nett, das ich ein Haus mit 300 m2 habe. Aber was bringt es mir? Was ist mir eigentlich wichtig im Leben? Ein zufriedenes Leben zu führen? Nicht permanent im Stress zu sein?

Es ist auch interessant zu sehen, wie schnell sich die Natur nach nur wenigen Wochen menschlicher Abstinenz erholt. Welchen Einfluss das hat. Wir Menschen können uns mehr daran ausrichten und unser Leben entsprechend gestalten. Das hat sicherlich eine Auswirkung auf die Wohnsituation, auf die Besitzsituation, auf die Frage, wo ich konsumiere. Wenn wir Menschen uns zunehmend selbst hinterfragen, ist Veränderung möglich.

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Liebe ist für mich das universell Verbindende. Liebe ist letztendlich das Einzige, was wirklich bleibt. Und Liebe geht für mich deutlich über das hinaus, was heute unter Liebe verstanden wird.

Was verstehst du darunter?

Liebe für das Leben, für sich selbst, für die Anderen. Diese Verbundenheit ist letztlich die Essenz.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

In einem Wort, würde ich sagen: nachdenklich. In einem Bild: Ich stehe gerade auf einem Gipfel und unter mir ist das Wolkenmeer. Es ist schönes Wetter, ich laufe langsam nach unten und der Schleier lichtet sich. Das, was darunter liegt, kommt langsam zum Vorschein.

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