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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: IN VERÄNDERUNG

Interview zwischen B und Juliane Kästner

Alter 56 Beruflich tätig als Sozialarbeiterin & Musikerin
Geschlechtsidentität weiblich Arbeitsort im Büro
Sexuelle Orientierung heterosexuell Beziehungsstatus single

 

1. Wie geht es dir?

Ich habe momentan ein bisschen den Eindruck, dass ich meine Freundschaften ziemlich zusammenhalten muss, dass es vor allem an mir liegt, aktiv zu werden. Das finde ich anstrengend.

Der Unterschied zur der Zeit, als ich noch in einer Beziehung war, ist, dass die Paartreffen wegfallen. Ich werde als Single auch nicht mehr von befreundeten Paaren eingeladen und habe mich jetzt auf Frauenfreundschaften reduziert.

Deswegen bin ich auch zunehmend ein bisschen ranzig. Ich stelle fest, dass sich die Menschen extrem in ihr kleines Refugium zurückziehen. Sie nehmen die Massnahmen des Bundesrats ernster, als sie eigentlich kommuniziert worden. Es hat für mich den Anschein, dass ich als Alleinstehende hinten runter falle, dass ich noch mehr als sonst kämpfen muss, dass ich nicht allein bin.

Wie fühlst du dich dabei?

Es macht mich traurig, ratlos, einsam, ärgerlich. Ich stelle mir Fragen. Trennt sich jetzt die Spreu vom Weizen? Wird sich in diesen Wochen zeigen, wer wirklich eine Freundin ist?

Für mich ist dies eine existenzielle Zeit. Ich befinde mich in einer Metamorphose und habe es noch nicht geschafft, die Chance, die die Corona-Zeit eigentlich in sich trägt, zu nutzen. Ich könnte diesen Rückzug auch geniessen und wirklich auskosten. Ich könnte in meinen vier Wänden mehr singen, mehr Klavier spielen, mehr lesen. Aber das schaffe ich noch nicht so ganz, weil ich die Befürchtung habe, abgehängt zu werden.

2. Wie kommunizierst du im Moment mit deiner Aussenwelt?

Generell kommuniziere ich weniger als vorher. Ich bemühe mich um gemeinsame Treffen. Wenn das nicht geht, dann sprechen wir halt übers Telefon oder benutzen WhatsApp. Aber das ist kein würdiger Ersatz.

3. Was hat sich in deiner Beziehung mit deinen Freundinnen seit dem LockDown geändert?

Ich hatte gestern via Telefon einen kleinen Streit mit einer sehr guten Freundin. Sie fährt am Wochenende mit ihrer Partnerin auf einen Campingplatz. Ich habe deutlich durchblicken lassen, dass es für mich als Single im Moment schwierig ist. Sie möchte sich aktuell aber nicht mit mir treffen. Und ich hatte Schwierigkeiten, das zu akzeptieren. Treffen zu zweit sind ja nicht verboten, wenn man in einem grösseren Abstand zusammen spazieren geht.

In diesem Moment hatte ich den Eindruck, dass ich mir das eigene Grab schaufle, wenn ich beleidigt oder verletzt bin und daraus meine Konsequenzen ziehe. Ich versuche, diese Zeit irgendwie durchzustehen und hoffe, dass ich nachher wieder an den Status der Freundschaft anknüpfen kann, den er vorher hatte. Jetzt allgemein Schlüsse auf die Qualität der Freundschaften zu ziehen, wäre fatal.

4. Meine nächste Frage, was du du in deinen Freundschaften im Moment am meisten schätzt und was du vermisst, ist jetzt wohl überflüssig?

Ich glaube, es ist so ein allgemeines Verunsichertsein, so ein bisschen wie das Kaninchen vor der Schlange. Ich gehöre ja nicht zu denen, die jetzt zum Beispiel das Familienleben mehr schätzen lernen, weil sie durch die geschlossenen Schulen mehr daheim sind. Bei mir ist alles weiter weg, wie im Nebel. Wenn man sich sieht, dann mit viel Abstand und ohne Umarmung. Für das bin ich nicht wahnsinnig dankbar.

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Vielleicht, dass ich es mehr zu mir nehmen muss. Ich darf die Menschen jetzt nicht verurteilen und mich auch nicht von meinen eigenen Interpretationen verführen lassen. Ich sollte nicht von Beziehungen abhängig sein und mehr in mir selbst ruhen, egal wie oft sich die Anderen melden.

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Ich kann das nur im Kleinen beantworten. Ein liebevoller Umgang unter uns Menschen bedeutet für mich, Interesse am Anderen zu zeigen, Empathie zu schenken, füreinander da zu sein. Einem Menschen zeigen, dass er wertgeschätzt und wichtig ist, dass es eine Bedeutung hat, dass er da ist und ihn wertfrei nehmen. Ein solcher Umgang im Kleinen würde sich dann auch potenziert auf der Makroebene auswirken – von nationaler auf internationaler Ebene.

Was die Natur betrifft, so hören wir Botschaften wie die, dass sich die Luftqualität verbessert hat. Das berührt mich positiv. Vielleicht fliegen wir nun nicht mehr mal eben über das Wochenende nach New York zum Einkaufen. Oder vielleicht haben wir festgestellt, dass uns ein weniger zu fliegen auch nicht unglücklich macht.

Möglicherweise gibt es jedoch nach der Pandemie einen Nachholeffekt. Ich mache mir keine Illusionen, dass sich das Verhalten der Menschen innerhalb weniger Wochen grundlegend verändert hat.

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Vielleicht im weitergefassten Sinne. Was mir jetzt auffällt ist, dass das Tempo geringer geworden ist, das Tempo des Gehens, des Angetriebenseins. Alles ist heruntergefahren. Wenn es dazu führen könnte, dass wir achtsamer und besonnener miteinander umgehen und einander mehr zuhören, einander zugewandt sind und nicht aneinander vorbeihasten, sondern uns anschauen, dann würde mich das freuen.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

Das Wort wäre “in Veränderung”. Das Bild: Ich gehe durch ein Nebeldickicht und sehe bereits das strahlende Licht.

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