Interview zwischen L und Juliane Kästner
Alter | 22 | Beruflich tätig als | Kellner*in |
Geschlechtsidentität | non-binäre Transperson | Arbeitsort | keiner, da von Massnahmen des Bundes betroffen |
Sexuelle Orientierung | alle Menschen ausser CIS-Männer | Beziehungsstatus | Beziehung mit mehreren Menschen |
1. Wie geht es dir?
Es ist ein Auf und Ab. Zum Teil finde ich die Situation für mich persönlich mega cool, weil es mir die Möglichkeit gibt, sehr viel Zeit mit meinen Mitbewohner*innen zu verbringen und Dinge im Haus zu erledigen. Zum Teil drehe ich fast durch, weil ich unbedingt nach draussen muss. Ich sehe all meine Leute nicht mehr und spüre dies emotional und körperlich.
2. Wie kommunizierst du im Moment mit deinen Partner*innen?
Wir telefonieren miteinander, wir schreiben uns über WhatsApp oder Telegram. Das habe ich früher nicht so gemacht. Aber wir machen nun ab, um miteinander zu telefonieren. Und dann sprechen wir für einige Stunden.
3. Was hat sich in deinen Beziehungen mit deinen Partner*innen seit dem LockDown geändert?
Es fühlt sich völlig anders an, wenn man sich nicht sehen kann. Oder wenn man sich in einer Distanz von zwei Metern gegenübersitzt.
Wie fühlt sich das für dich an?
Wenn du mit jemandem abhängst und du merkst, dass du dir bald nichts mehr zu sagen hast, beide ruhig werden, dann wird es komisch und peinlich. Das kann ich normalerweise durch Körperlichkeit überbrücken. Doch das fällt jetzt völlig weg.
Ich hatte letztens auch ein erstes Tinder-Date via Telefon. Und darin kam es häufiger vor, dass wir beide nichts gesagt haben. Aber erstaunlicherweise hat es sich für mich nicht seltsamer angefühlt als ein normales Date. Vor allem von der Länge der Stille. Aber es ist ein komisches Gefühl, wenn du die Person nicht siehst und nicht merkst, wie sie körperlich reagiert. In etablierten Beziehungen dagegen fühlt sich die Stille nicht komisch an.
Du sagst, dass du deine Leute nicht mehr siehst. Hat sich in dir oder in diesen Freundschaften etwas verändert?
Auch wenn Zürich nicht so klein ist, passiert es mir doch immer wieder, dass ich in der Stadt zufällig Freund*innen treffe. Ich habe auch mit einigen Menschen freundschaftliche Beziehungen, bei denen ich mich zwanzig Minuten vorher anmelde und dann zu ihnen nach Hause gehe. All das findet nicht mehr statt. Die Spontaneität als Grundlage dieser Beziehung fällt weg.
Bei den Leuten, mit denen ich Kontakt habe, fehlt mir die Umarmung, wenn wir uns begegnen. Oder wenn ich mit einer Person in einer romantischen Beziehung bin, all das Körperliche und Intime fehlt mir mega fest.
Melden sich deine Freund*innen jetzt weniger bei dir? Oder meldest du dich weniger bei ihnen?
Beides. Ich finde es sehr schwierig einzuschätzen, ob unsere virtuellen Begegnungen wirklich auf Zustimmung stossen. Wenn man sich schreibt, ist ein enthusiastisches “Ja” nicht leicht heraus zu spüren.
4. Was schätzt du in deinen Beziehungen im Moment am meisten? Was vermisst du?
Die Art und Weise, wie ich über meine diversen Beziehungen nachdenke, hat sich verändert. Gerade in meinen freundschaftlichen Beziehungen habe ich das Gefühl, dass ich nicht sehr körperlich bin. Weil es mir aber momentan so auffällt, wir stark mir der Körperkontakt fehlt, denke ich anders darüber. Umarmungen zur Begrüssung oder schon das Nebeneinandersitzen in geringer Distanz haben eine andere Qualität als vorher.
Mit einer Person, mit der ich in einer romantischen Beziehung bin, habe ich diskutiert, wie wir dies in den nächsten Monaten angehen wollen. Wir haben dann beschlossen, dass wir Körperkontakt haben wollen. Einige Tage später rief sie mich noch einmal an und war recht durch den Wind. Sie hatte das Gefühl, dass sie mir etwas zugesagt hatte, dass sie nicht einhalten kann. Dieses Gespräch habe ich mega geschätzt, weil es für sie sehr streng war, das anzusprechen. Aber sie hat es trotzdem gemacht. Und auch, dass wir wirklich sehr offen über unsere Erwartungen, Gefühle und Grenzen diskutieren konnten. Obwohl wir über das Telefon miteinander sprachen.
Ich wünschte mir auch, dass ich nicht so viel Zeit für mich allein hätte. Dann wäre ich weniger in meinem Kopf drin und würde nicht die ganze Zeit daran denken, was gut und was nicht gut läuft. Ich habe den Eindruck, dass ich mich zum Teil in diese Gedanken hineinsteigere und dies eine gewisse Eigendynamik annimmt. Es ist momentan halt viel schwieriger, meine Gedanken mit meinem Gegenüber abzugleichen. Sei das wegen der Form oder der Häufigkeit unserer Gespräche.
5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?
Ich werde sicher die kleinen Körperlichkeiten in all meinen Beziehungen mehr schätzen. Und ich werde so oft als möglich nach draussen gehen, sobald das wieder möglich ist. (lacht)
6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?
Was ich sehr spannend finde, sind die weltweiten Aktionen, in denen irgendwelche beliebigen Leute anderen Berufsgruppen applaudieren. Das ist für mich ein gesellschaftliches Momentum, in dem man Zuneigung, Dankbarkeit und Liebe ausdrückt. Aber es ist eine leere Geste. Für die Menschen, die betroffen sind, macht das im besten Fall nur zwei Minuten ihres strengen Alltags besser. Während es seit Jahren Forderungen gibt, mehr Personal im Gesundheitswesen einzustellen, den Lohn zu erhöhen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. So dass man durch materielle auch gesellschaftliche Anerkennung erhält.
Dies war für mich auch eine Lernphase. Es geht nicht darum, was ich in meinen Beziehungen an leeren Gesten zeige, um mich selbst darüber zu profilieren. Sondern es geht darum, meinen Leuten etwas Gutes zu tun. Und das zu tun, was sie auch wollen und brauchen, auch wenn es nicht unbedingt das ist, was für mich am einfachsten oder bequemsten ist.
Ich wünsche mir auch, dass wir anfangen, starke Communities aufzubauen, die sich gegenseitig stützen und schützen. Es gibt verschiedene weltweite Bewegungen, in denen Menschen aufgrund einer Notsituation zusammen kommen. Und so sollten wir uns auch in Zukunft organisieren, sowohl als Menschen untereinander, aber auch als Menschen mit der Natur.
Wir müssen uns als Gesellschaft, also die Menschen in der Gesellschaft – nicht irgendwelche Banken oder Unternehmen – überlegen, welche Arbeit wir brauchen. Das ist sehr viel emotionale Arbeit, Care-Arbeit, Arbeit im Gesundheitsbereich, der Lebensmittelproduktion und so weiter. Diese wiederum sollte kollektiviert werden. Unnötige Arbeiten, die Bullshit-Jobs, brauchen wir nicht. Wenn wir unsere Arbeitskraft nicht mehr verkaufen müssen, um unsere Rechnungen zahlen oder um uns unser Gesundheitssystem leisten zu können, dann sind wir auch nicht mehr darauf angewiesen, diese Bullshit-Jobs zu machen. Wir könnten dann Arbeit verrichten, die wir gesellschaftlich wirklich benötigen. Die Produktion ist dann nicht mehr profitorientiert, sondern bedürfnisorientiert. Der Besitz von Häusern bis hin zu Spitälern geht an uns als Gesellschaft über.
7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?
Ja. Setzt Euch mit Eurem Shit auseinander. Ich richte das natürlich auch an mich. Ich muss mich damit auseinander, was mich unsicher oder was mir Angst macht. Es ist nicht fair, diese Unsicherheiten und Ängste anderen aufzuzwingen.
8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?
Ein Flickenteppich, der aus warmen Farben besteht.