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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: GEDULD

Interview zwischen D und Juliane Kästner

Alter 59 Beruflich tätig als Informatiker
Geschlechtsidentität männlich Arbeitsort im Büro / zu Hause
Sexuelle Orientierung heterosexuell Beziehungsstatus Beziehung mit mehreren Menschen, “es ist kompliziert“

 

1. Wie geht es dir?

Gut, super.

Hat die aktuelle Phase in unser aller Leben einen Einfluss auf dein Wohlbefinden?

Ja, man ist mehr auf sich selber gestellt, auch körperlich. Man kann fast niemanden mehr anfassen und man wird auch umgekehrt fast nicht mehr angefasst. Ich vermisse den Körperkontakt.

Was macht das mit dir?

Ich trainiere mehr, um ein besseres Körpergefühl zu haben. (lacht) Ich gehe regelmässiger nach draussen. Aber ich bin auch nicht unglücklich mit mir selber.

2. Wie kommunizierst du im Moment mit deiner Partnerin?

Per Skype. Lustigerweise weg vom Telefon hin zu Skype, weil man sich dann wenigstens sehen kann. Das ist interessanter. Ich würde auch sagen, dass wir ungefähr gleich oft miteinander sprechen. Aber wir sehen uns halt seltener. Und somit kommunizieren wir unter dem Strich auch weniger miteinander.

3. Was hat sich in deiner Beziehung mit deiner Partnerin seit dem LockDown geändert?

Nichts. Aber das liegt wohl an mir. Ich bin ein sturer Mensch und habe eine gewisse Konstanz. (lacht) Wenn ich jemanden gern habe, dann ist das für immer. Wenn etwas im Moment nicht geht, dann ist es halt so. Das geht vorbei.

Das ist bei einer meiner Freundinnen zum Beispiel nicht so. Sie verliert den Bezug zu mir. Sie fragt weniger, sie ist mehr mit sich selbst beschäftigt.

4. Was schätzt du in deinen Beziehungen im Moment am meisten? Was vermisst du?

Ich schätze Intelligenz, das ist sexy. Und das ist in einem Gespräch natürlich von Vorteil. Wenn jemand gescheit ist, kannst du dich auch mit dieser Person unterhalten – über irgendetwas. Das ist eine Bereicherung. Ich hatte immer eine Tendenz zu intelligenten Frauen, obwohl sie komplizierter sind.

Was mir sehr fehlt ist die Körperlichkeit. Ich habe gern Sex, ich habe gern Nähe, ich kuschle gern, ich küsse gern. Es ist wirklich mühsam und nervig, dass das jetzt gerade nicht geht.

Welche Dinge werden dir bewusst, seit ihr vor allem über Skype miteinander sprecht?

Mir ist die Zuverlässigkeit des Gegenübers sehr wichtig. Und irgendwo auch die Fähigkeit, sich selbst zu beschäftigen. Dass sie ihre eigene Welt haben, in der sie sich bewegen und weiterentwickeln können.

Aus der Distanz ärgert man sich auch weniger. Ich schätze die wenige Zeit, die wir jeweils miteinander haben, sehr viel mehr. Man streitet sich praktisch nicht mehr. (lacht) Dafür hat man jetzt keine Zeit.

Aber theoretisch haben wir doch jetzt mehr Zeit?

Ja, nur für sich selbst. Man skypt ja nicht stundenlang. Das ist ja auch nervig.

Wieso ist das nervig?

Weil man still sitzen muss. Wenn du mit jemandem zusammen bist, dann kannst du herumlaufen, etwas zusammen machen. Das kannst du natürlich über Skype auch. Aber es ist nicht das Gleiche. Da sitzt du allein mit deinem Glas, so wie auch dein Gegenüber. Und dann stösst man gemeinsam an. Das ist in Ordnung, aber der Spassfaktor ist eingeschränkt. (lacht)

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Das ist eine gute Frage. Ich weiss es nicht. Ich bin, glaube ich, froh, wenn es bald wieder vorbei ist.

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Ich finde den Umgang unter uns in unserer Gesellschaft nicht “unliebevoll”. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Man wird tendenziell sorgfältiger, man wird offener, toleranter, umweltbewusster. Die Gleichberechtigung setzt sich weiter durch. Das erlebe ich vor allem in meinem Umfeld.

Ich finde die Art und Weise, wie sich die Menschen gegenseitig helfen, sehr interessant. Ich habe auch selten so freundlich eingekauft wie jetzt. Alle sind total nett und rücksichtsvoll. Sie machen dir Platz, du machst ihnen Platz. Es spielt keine Rolle, wenn sich jemand vordrängelt, dann lässt du ihn halt. Es ist alles viel entspannter.

Die Überlegung des 2-Meter-Abstands ist wie eine Reflexion. Wo bin ich und wo sind die Anderen? Dank dieser Krise sind wir Menschen sehr viel zuvorkommender geworden. Sie hat uns wieder bewusst gemacht, was und wie viel wir eigentlich haben.

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Seid nicht so kompliziert. Wenn du auf jemanden stehst, dann kannst du das zugeben. Das ist nichts Schlimmes. Du darfst eifersüchtig sein, das ist auch nicht schlimm.

Was ist Liebe für dich?

Liebe ist für mich, wenn ich jemanden gernhabe. Wenn ich jemanden vermisse. Wenn ich gern mit dieser Person zusammen bin. Und auch jemanden gern zu haben, unabhängig davon, wie sie gerade drauf ist. Ein Kernbestandteil der Liebe ist es, Geduld mit deinem Gegenüber zu haben.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

Geduld.

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