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Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: GEDULD

Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie: GEDULD

Interview zwischen D und Juliane Kästner

Alter 59 Beruflich tätig als Informatiker
Geschlechtsidentität männlich Arbeitsort im Büro / zu Hause
Sexuelle Orientierung heterosexuell Beziehungsstatus Beziehung mit mehreren Menschen, “es ist kompliziert“

 

1. Wie geht es dir?

Gut, super.

Hat die aktuelle Phase in unser aller Leben einen Einfluss auf dein Wohlbefinden?

Ja, man ist mehr auf sich selber gestellt, auch körperlich. Man kann fast niemanden mehr anfassen und man wird auch umgekehrt fast nicht mehr angefasst. Ich vermisse den Körperkontakt.

Was macht das mit dir?

Ich trainiere mehr, um ein besseres Körpergefühl zu haben. (lacht) Ich gehe regelmässiger nach draussen. Aber ich bin auch nicht unglücklich mit mir selber.

2. Wie kommunizierst du im Moment mit deiner Partnerin?

Per Skype. Lustigerweise weg vom Telefon hin zu Skype, weil man sich dann wenigstens sehen kann. Das ist interessanter. Ich würde auch sagen, dass wir ungefähr gleich oft miteinander sprechen. Aber wir sehen uns halt seltener. Und somit kommunizieren wir unter dem Strich auch weniger miteinander.

3. Was hat sich in deiner Beziehung mit deiner Partnerin seit dem LockDown geändert?

Nichts. Aber das liegt wohl an mir. Ich bin ein sturer Mensch und habe eine gewisse Konstanz. (lacht) Wenn ich jemanden gern habe, dann ist das für immer. Wenn etwas im Moment nicht geht, dann ist es halt so. Das geht vorbei.

Das ist bei einer meiner Freundinnen zum Beispiel nicht so. Sie verliert den Bezug zu mir. Sie fragt weniger, sie ist mehr mit sich selbst beschäftigt.

4. Was schätzt du in deinen Beziehungen im Moment am meisten? Was vermisst du?

Ich schätze Intelligenz, das ist sexy. Und das ist in einem Gespräch natürlich von Vorteil. Wenn jemand gescheit ist, kannst du dich auch mit dieser Person unterhalten – über irgendetwas. Das ist eine Bereicherung. Ich hatte immer eine Tendenz zu intelligenten Frauen, obwohl sie komplizierter sind.

Was mir sehr fehlt ist die Körperlichkeit. Ich habe gern Sex, ich habe gern Nähe, ich kuschle gern, ich küsse gern. Es ist wirklich mühsam und nervig, dass das jetzt gerade nicht geht.

Welche Dinge werden dir bewusst, seit ihr vor allem über Skype miteinander sprecht?

Mir ist die Zuverlässigkeit des Gegenübers sehr wichtig. Und irgendwo auch die Fähigkeit, sich selbst zu beschäftigen. Dass sie ihre eigene Welt haben, in der sie sich bewegen und weiterentwickeln können.

Aus der Distanz ärgert man sich auch weniger. Ich schätze die wenige Zeit, die wir jeweils miteinander haben, sehr viel mehr. Man streitet sich praktisch nicht mehr. (lacht) Dafür hat man jetzt keine Zeit.

Aber theoretisch haben wir doch jetzt mehr Zeit?

Ja, nur für sich selbst. Man skypt ja nicht stundenlang. Das ist ja auch nervig.

Wieso ist das nervig?

Weil man still sitzen muss. Wenn du mit jemandem zusammen bist, dann kannst du herumlaufen, etwas zusammen machen. Das kannst du natürlich über Skype auch. Aber es ist nicht das Gleiche. Da sitzt du allein mit deinem Glas, so wie auch dein Gegenüber. Und dann stösst man gemeinsam an. Das ist in Ordnung, aber der Spassfaktor ist eingeschränkt. (lacht)

5. Was nimmst du davon mit in deine Zukunft?

Das ist eine gute Frage. Ich weiss es nicht. Ich bin, glaube ich, froh, wenn es bald wieder vorbei ist.

6. Wenn wir den Horizont jetzt ein wenig weiter öffnen: Wie sähe für dich ein liebevoller Umgang von uns Menschen in unserer Gesellschaft – national wie international – aber auch von uns Menschen mit der Natur nach der Corona-Pandemie aus?

Ich finde den Umgang unter uns in unserer Gesellschaft nicht “unliebevoll”. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Man wird tendenziell sorgfältiger, man wird offener, toleranter, umweltbewusster. Die Gleichberechtigung setzt sich weiter durch. Das erlebe ich vor allem in meinem Umfeld.

Ich finde die Art und Weise, wie sich die Menschen gegenseitig helfen, sehr interessant. Ich habe auch selten so freundlich eingekauft wie jetzt. Alle sind total nett und rücksichtsvoll. Sie machen dir Platz, du machst ihnen Platz. Es spielt keine Rolle, wenn sich jemand vordrängelt, dann lässt du ihn halt. Es ist alles viel entspannter.

Die Überlegung des 2-Meter-Abstands ist wie eine Reflexion. Wo bin ich und wo sind die Anderen? Dank dieser Krise sind wir Menschen sehr viel zuvorkommender geworden. Sie hat uns wieder bewusst gemacht, was und wie viel wir eigentlich haben.

7. Gibt es etwas, was du der Welt zum Thema “Liebe” sagen möchtest?

Seid nicht so kompliziert. Wenn du auf jemanden stehst, dann kannst du das zugeben. Das ist nichts Schlimmes. Du darfst eifersüchtig sein, das ist auch nicht schlimm.

Was ist Liebe für dich?

Liebe ist für mich, wenn ich jemanden gernhabe. Wenn ich jemanden vermisse. Wenn ich gern mit dieser Person zusammen bin. Und auch jemanden gern zu haben, unabhängig davon, wie sie gerade drauf ist. Ein Kernbestandteil der Liebe ist es, Geduld mit deinem Gegenüber zu haben.

8. Wenn du deine jetzigen Gefühle in einem Wort oder einem Bild ausdrücken würdest, welches wäre das?

Geduld.

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Sozialgesellschaftliche Perspektive des LockDown

Sozialgesellschaftliche Perspektive des LockDown

Ich hatte am Montag die Idee, ein Bild oder eine Momentaufnahme aufzufangen, wie wir Menschen uns aus sozialgesellschaftlicher Perspektive in der aktuellen Corona-Pandemie verhalten und fühlen.

Es gibt bereits viele Beiträge zu wirtschaftlichen Folgen, zum Gesundheitswesen, zur Zusammenarbeit in den Unternehmen. Aber ich möchte mich damit auseinandersetzten, was der LockDown mit uns Menschen macht. Welchen Einfluss er auf uns selbst, auf unsere Beziehungen zu Lebenspartnern oder in Freundschaften aber auch auf uns selbst als Teil der globalen Welt hat. Vielleicht ermöglicht diese Momentaufnahme als gesellschaftliches Gedächtnis, die Erkenntnisse, die wir in der jetzigen Zeit erlangen, auch in die Zukunft zu tragen.

Zu diesem Zweck habe ich gestern mit einer Interviewreihe begonnen. Die Fragen, die ich in den Interviews stelle, beruhen auf einem einheitlichen Fragenkatalog. Die Menschen, die ich interviewe, haben einen unterschiedlichen Hintergrund in Bezug auf ihren Beruf, ihren Beziehungsstatus, ihr Alter, aber auch ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Unter dem Titel “Liebe in Zeiten der Corona-Pandemie” kann der Leser*in die individuellen Sichtweisen dieser Menschen eintauchen.

Heute morgen führte ich das zweite Interview durch und es zeigte sich bereits, dass sich der Umgang mit der aktuellen Krise sehr unterschiedlich gestaltet. Natürlich ist dies auch den abweichenden Rahmenbedingung zu schulden, in denen sich die interviewten Menschen bewegen.

Ich habe mir zum Ziel gesetzt, im Abstand weniger Tage jeweils ein Interview zu veröffentlichen und bin sehr auf Ihre Reaktionen und Gedanken gespannt. Ich halte Sie auf dem Laufenden und wünsche Ihnen einen wundervollen Tag.

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#80Prozent

#80Prozent

Artikel 8 Absatz 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft besagt: “Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetzt sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.” Am landesweiten Frauenstreik vom 14. Juni diesen Jahres forderten 500.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der Strasse diese Lohngerechtigkeit ein. Dazu steht im Manifest feministischer Streik & Frauen*streik Zürich: “Wir tolerieren weder sexistisches noch rassistisches Lohngefälle.”

Ab dem 21. Oktober leisten Frauen Gratisarbeit

“Im privaten Sektor verdienten Frauen im Jahr 2016 durchschnittlich 19,6% weniger (arithmetisches Mittel) als ihre männlichen Kollegen.”, hält das Bundesamt für Statistik in einer Medienmitteilung nach durchgeführter Lohnstrukturerhebung fest. Das bedeutet rechnerisch: Frauen leisten ab dem Mittag des 21. Oktobers bis Ende Jahr in ihrer entlöhnten Tätigkeit Gratisarbeit. Neben der Tatsache, dass sie ihre Haus- und Care-Arbeit unentgeltlich erbringen.

Die Lohnungerechtigkeit beginnt bereits beim Einstieg ins Berufsleben nach Abschluss einer Ausbildung. So beträgt der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen nach Abschluss an einer universitären Hochschule 19%, der Matura 12% oder einer Berufsausbildung 11%. Diese Diskriminierung kann objektiv nicht erklärt werden. Längere Unterbrüche aus familiären Gründen, das damit verbundene niedrigere Dienstalter und die unterschiedliche Berufserfahrung – die Argumente für erklärbare spätere Lohnungleichheiten – kommen hier noch nicht zum Zug. Diese ungleichen Einstiegsgehälter können im weiteren Berufsleben nur schwer wieder ausgeglichen werden.

Nicht wirklich überraschend ist, dass gerade in den Branchen mit den höchsten Löhnen und Unternehmensgewinnen der Lohnunterschied am grössten ist: In der Finanzdienstleistungsindustrie wie Banken und Versicherungen verdienen Frauen 30% weniger als ihre männlichen Kollegen, in der Beratungsbranche 27%.

Wenn es um die Diskussion von Lösungsansätzen geht, wie Institutionen im privaten und öffentlichen Sektor den Frauenanteil in den verschiedenen Kaderpositionen erhöhen könnten, kommt oft das Argument zum Tragen, dass es im Pool der Führungskräfte zu wenig Frauen gäbe. Wenn nun aber Frauen – neben anderen strukturellen Herausforderungen – im unteren Kader 14% und ab dem mittleren bis obersten Kader 19% weniger verdienen, stellt sich doch die Frage, wieso Frauen mehr Verantwortung einhergehend mit steigender Lohnungleichheit übernehmen sollten.

Lohngleichheit als systemisches Konstrukt

Um die bereits erwähnte erklärbare aber auch unerklärbare Lohnungleichheit aufzulösen, ist es erforderlich, das damit verbundene systemische Konstrukt umzugestalten. Die unerklärbare Lohnungleichheit muss sowohl im privaten als auch öffentlichen Sektor gemäss Bundesverfassung durchgesetzt werden.

Die erklärbare Lohnungleichheit wird durch zwei Faktoren aufgelöst. Mit der Einführung eines Elterngelds nach schwedischem Vorbild können die Elternteile selbst entscheiden, wie sie die Verantwortung zur Versorgung ihres Kindes untereinander aufteilen. Die damit einhergehenden Arbeitsunterbrüche und niedrigeren Dienstalter werden auf beide verteilt und sie stehen vor einer wirklichen Wahl. Ein zusätzlicher Faktor stellt die vollumfängliche Versorgung einer den Arbeitszeiten entsprechen Kinderbetreuung dar.

Am 20. Oktober wählen wir die National- und Ständeräte für die nächste Legislaturperiode und damit die Politikerinnen und Politiker von denen wir erwarten, dass sie die Umsetzung der Forderungen des Frauenstreiks und der garantierten Rechtsgleichheit in Angriff nehmen.

Quellen: Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (Stand am 23. September 2018), Manifest feministischer Streik & Frauen*streik Zürich, Wikipedia, Unia in “Frauenzahltag!”, Bundesamt für Statistik der Schweizerischen Eidgenossenschaft

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Ich will so bleiben wie ich bin – du darfst

Ich will so bleiben wie ich bin – du darfst

Wir werden von Artikeln und Büchern überschwemmt, die weibliche und männliche Stereotype ausgiebig behandeln, die Frauen Instruktionen geben, ihre Persönlichkeit zu ändern, um in Konkurrenzsituationen und in ihrer Karriereentwicklung gegenüber ihren männlichen Kollegen erfolgreicher zu sein. Meines Erachtens sollte der Fokus jedoch eher darauf gerichtet werden, faire Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sowohl weibliche als auch männliche Arbeitnehmer ihr volles Potential zum Nutzen der Unternehmen ausschöpfen können.

Wettbewerbspräferenzen

Wirtschaftsforscher aus der Verhaltensökonomie haben durch Experimente in Studien aufgezeigt, dass bereits bei Mädchen und Jungen zwischen 3 – 18 Jahren eine unterschiedliche Präferenz darin besteht, in Wettbewerb zu treten. Mädchen lehnen den Wettbewerb durchschnittlich häufiger ab als Jungen, selbst bei Aufgaben, die sie erwartungsgemäss besser bewältigen. Jungen hingegen wählen in allen Altersstufen häufiger den Wettbewerb.

Der Unterschied in den Wettbewerbspräferenzen setzt sich auch bei Frauen und Männern im Arbeitsmarkt trotz gleicher Fähigkeiten fort. Frauen bevorzugen im Durchschnitt eine fixe und wettbewerbsneutrale Kompensation ihrer Leistungen, Männer eher eine wettbewerbsbasierte.

Rahmenbedingungen in Unternehmen

Nun kann aber eine Wettbewerbsorientierung in Unternehmen zu Selektionseffekten führen, vor allem dann, wenn talentierte Frauen ausscheiden und Unternehmen oder Berufe wählen, die weniger von Wettbewerb dominiert sind. Gleichzeitig kann sie eine Erhöhung der Kosten bewirken, da Männer durchschnittlich dazu neigen, Verhandlungen über Lohnerhöhungen und Beförderungen als Teil des Wettbewerbs zu betrachten. Zudem basiert sie auf Leistungskriterien, die auf individueller Ebene nicht objektivierbar und daher als Grundlage für Beförderungen und Karriereentwicklung nicht geeignet sind.

Wie können Rahmenbedingungen gestaltet werden, die diese Präferenzen, Effekte und Grundlagen berücksichtigen?

  1. Anreizsysteme können anstatt auf internen Wettbewerb und Maximierung des Shareholder Values auf die Belohnung von positivem Verhalten ausgerichtet werden – wie beispielsweise Kooperation innerhalb und ausserhalb des eigenen Teams – mit dem Ziel, die Erfüllung der Kundenbedürfnisse wieder in den Fokus allen unternehmerischen Denkens und Handelns zu stellen.
  2. Diversitätsprogramme können sich selbst höhere Ziele zur Frauenquote setzen als dies die Aktienrechtsrevision als Folge der „Abzocker-Initiative“ vom Bund vorsieht – und diese auch konsequent durchsetzen. Nachfolgeplanungen, in denen weibliche und männliche Fach- und Führungskräfte gemäss der gesetzten Ziele nominiert, entsprechend aufgebaut und entwickelt werden, sind dafür ein geeignetes Mittel.
  3. Gleichstellung betrifft sowohl Frauen als auch Männer, Mütter und Väter. Altbekannte Rahmenbedingungen wie Mutter- und Vaterschaftsurlaub, Teilzeitpensum für Führungskräfte oder Lohngleichheit können dazu beitragen, dass beide auch wirklich die Wahl haben, eine Karriere zu verfolgen.

Soziale Normen

Frauenquoten haben als Instrument einen schlechten Ruf, aber nicht nur bei Männern zur Verteidigung des Status Quo. Auch bei Frauen ist der Glaube leider stark verbreitet, dass sie als „Quotenfrau“ negativ beurteilt werden, dass sie die Beförderung oder Position nur aufgrund einer Quotenregelung erhalten haben und nicht aufgrund ihrer hervorragenden Qualifikation.

Gestatten Sie mir darum zum Schluss ein kleines Gedankenspiel, um diesem Bias, der sich zu einer sozialen Norm entwickelt hat, entgegen zu treten: Seit jeher werden Männer aus Führungszirkeln, Interessensgruppen oder Gruppierungen jeglicher Couleur als Vertreter – als „Quotenmänner“ – an geistliche, staatliche oder institutionelle Führungspositionen delegiert. Haben Sie ein einziges Mal davon gehört oder gelesen, dass diese Männer an ihrer Qualifikation gezweifelt oder andere ihre Delegation als „Quotenmann“ negativ beurteilt haben? Warum ist eine „Quotenfrau“ etwas anderes als eine delegierte Vertreterin aus einer Gruppe talentierter, qualifizierter Frauen?

* Dieser Artikel erschien in der August-Ausgabe von DIE WIRTSCHAFTSFRAU in der Rubrik “Kultur & Konkurrenz – Gehört”. 

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“We are all Humans”

“We are all Humans”

Juliane Kästner: Du spieltest kürzlich eine Hauptrolle in dem Theaterstück „Hate“, einer „Quer-Core Love-Story“, in der es darum ging, sich gegen den „Imperialismus einer hetero-normativen Gesellschaft“ zu erheben. Was bedeutete es dir, in diesem Stück die „Ice Queen“ darzustellen?

Milky Diamond: Seit ich ein kleiner Junge war, bewunderte ich starke Frauen. Frauen, die unabhängig aber auch rachsüchtig sind, wie Cruella de Vil oder die Figur von Madison Lee in Charlie’s Angels. Als mich der Regisseur Dominik Locher für das Stück anfragte, erzählte ich ihm von meiner Fantasie. Davon, dass ich eine starke weibliche Person darstellen möchte, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensgeschichte zu einem hartherzigen Menschen wurde. Für mich war es die Erfüllung eines Kindertraums, diese Rolle spielen zu dürfen.

Welche Reaktionen wolltet Ihr beim Publikum auslösen?

Wir wollten uns als Community sichtbar machen. Gleichzeitig wollten wir darstellen, wie eine Minderheit innerhalb einer Minderheit herabgesetzt wird. Wir wollten vor allem aber auch ein Stück machen, von dem die Menschen denken: „Das habe ich geliebt.“ oder „Das habe ich gehasst.“ Und dies aus den verschiedensten Gründen. Ein Stück, mit dem sie sich emotional auseinandersetzen und in welchem sie sich mit einer Figur oder einer Situation identifizieren können.

Du bist nicht nur Theaterdarsteller, sondern auch Drag Queen, eine Persönlichkeit des Zürcher Nachtlebens. Wie sah dein Weg zu dir als Drag Queen aus?

Ich war ein kleiner, dicker Junge auf dem Land. Als ich 15 Jahre alt war, wollte ich unbedingt berühmt werden. Ich wollte ein Star sein. Ich habe gesehen, wie Lady Gaga von „Zero to Hero“ berühmt wurde, von einem Look, den erst alle ignorierten hin zu etwas Speziellem, etwas Kreativem. Ich zeichnete, wie ich aussehen würde, wenn ich berühmt wäre. Und dann fing ich an, mein Haar schwarz-blond zu färben, Make-Up zu tragen und mich in einem glamourösen und gleichzeitig „trashy“ Look zu kleiden. Ich gab mir den Namen „Milky Diamond“.

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert?

In meinem Job als Coiffure fanden es alle Frauen um mich herum einfach toll. Zu denjenigen unter meinen Freunden und in meiner Familie, die es nicht toll fanden, sagte ich einfach: „I don’t need you. You are not welcome in my world.“ Und so handhabe ich das heute noch, wenn Personen gegen mich oder gegen den Weg, den ich gehe, sind. „I just cut the bitch off.“ Ich lief wie ein Mädchen herum, nicht weil ich Transgender bin, sondern weil ich es einfach so wollte und alle anderen als langweilig empfand.

Als ich 20 Jahre alt wurde, habe ich aufgehört, so im Alltag aufzutreten und habe es auf das Nachtleben verschoben. Ich liess meine Lippen für meinen femininen Look aufspritzen und begann, in Klubs als Host und als Drag Queen zu arbeiten. Ich habe „straight-line“ das verfolgt, was ich mir vor zehn Jahren vorgenommen hatte. Ich wollte meinen Lebensunterhalt damit verdienen, „being famous and the toast of the town“. Und ich glaube, dass ich das in meinem kleinen Universum geschafft habe.

Wie ist es für dich, Drag Queen zu sein? Was stellt dies für dich in deinem Leben dar?

Als Drag werde ich zur besten, liebenswertesten und schönsten Version, die ich als Mensch sein kann. Ich fühle mich dann unglaublich „empowered“, schön und selbstbewusst. Ich fühle mich auch sonst selbstbewusst, aber dann einfach noch stärker. Ich stelle etwas dar, von dem andere denken: „Das könnte auch ich sein. Ich könnte auch so stark und selbstbewusst auf dieser Bühne stehen.“ Ich habe in den Klubs oft erlebt, dass junge Männer auf mich zukamen und mir von ihren „coming-out“-Problemen erzählten. Ich hätte vorher nie gedacht, dass ich anderen Menschen durch meine Auftritte Kraft geben kann, aus sich herauszukommen und ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Das macht mich unglaublich glücklich.

Ist es dir eigentlich lieber, in der weiblichen Form angesprochen zu werden?

Das ist mir egal. Ich habe viele Freunde, die in der männlichen Form mit mir sprechen, auch, wenn ich gerade als Drag gekleidet bin. Ich sage, dass die Form richtig ist, die du automatisch wählst. Wenn du mich als Drag siehst, mich als Mann kennst und mich als „er“ ansprichst: „Go for it“. Wenn du findest, dass die Illusion toll ist, dann nenn mich „sie“.

Ich spreche andere Drag Queens immer als „sie“ und mit ihrem Drag-Namen an, auch wenn sie mit mir als Männer unterwegs sind. Andere Drags wiederum möchten das getrennt behandeln.

Was geht in dir vor, während du zu einer Drag Queen wirst, während du dich schminkst und ankleidest?

Für viele Drag Queens, mit denen ich zusammenarbeite, ist es wirklich ein Ritual, eine Transformation. Ihre Persönlichkeit verändert sich. Sie sprechen mit einer höheren Stimme, schlagen ihre Beine elegant übereinander und ändern ihre Attitüde.

Bei mir ist es nicht so, denn meine Wertvorstellungen, Hoffnungen und Träume ändern sich ja nicht durch das Tragen einer Perücke. Wenn ich mich vorbereite, ist es meist so, dass ich zu Beginn erst einmal ein Glas Wein trinke. Nach einer halben Stunde, wenn ich die Foundation habe, rauche ich eine Zigarette. Dann fange ich mit dem Augen-Make-Up an und rauche wieder eine Zigarette. Wo ist mein Martini? Das ist mein Ritual.

Deswegen dauert es auch vier Stunden…

(lacht lauthals) … ja. Es geht mir nichts Spezielles durch den Kopf. Ich weiss einfach: „I’m gonna look pretty.“

Geniesst du den Prozess?

Ich versuche, ihn so angenehm wie möglich für mich zu gestalten. Wenn ich die Foundation mache, sie nicht so aussieht, wie ich es mir vorstelle, versuche ich es weiter mit dem Eye-Liner. Und wenn der Effekt dann immer noch nicht wie gewünscht ist, denke ich: „Why?“. „Nein, ich lasse mir jetzt einige Minuten Zeit und versuche es dann noch einmal.“ Ich bin nicht gern gehetzt, habe gern meine Ruhe und bin dabei auch gern allein.

Milky Diamond gehört zu den schillerndsten Figuren im Zürcher Nachtleben. In seinem Instagram-Profil beschreibt er sich als „Video Artist & Nightlife Personality Broadway Baby & Darling of the Press“. Milky wuchs im Kanton Luzern auf, arbeitete zunächst als Coiffure und studierte später an der F+F Schule für Kunst und Design. Er engagiert sich für die LGBTIQ+ Community und gegen Vorurteile.

 

Ich war schon immer sehr beeindruckt davon, wie perfekt sich Drag Queens schminken. Wie hast du diese Fähigkeit erlernt?

Gelernt habe ich das, indem ich selbst viel probiert und geübt habe. In den letzten drei Jahren habe ich angefangen, Tutorials von anderen Drag Queens auf Youtube zu schauen. Ich schminke mich jedoch nicht in dieser übertriebenen Art, in der du zum Beispiel die Augenbrauen abdeckst. Das mag ich nicht, das bin nicht ich. Ich mag „natural beauty“, den Stil eines Mädchens, das sich für eine Gala schminkt. Elegant, mit den „Features“, die man bereits hat … (lacht) … oder hat machen lassen.

Und wie ist es mit den Kleidern, die du trägst? Wovon lässt du dich inspirieren?

Eine meiner grössten Inspirationen ist die Rapperin Brooke Candy. Sie hat meinen Drag-Stil stark beeinflusst durch ihren Kleidungsstil, ihren Schmuck, ihre Frisur. Mein Look ist „Trash Glam“, eine Mischung zwischen einer eleganten Dame und einem jungen Mann auf dem Strassenstrich.

Was ist der Anspruch an dich selbst, an deine Performance?

Dass ich jedes Mal besser bin als das vorhergehende Mal. Das ich mich immer steigere, in der Choreografie, der Musik, dem Make-Up oder dem Outfit. Ich habe so viele Shows gemacht, einfach, weil ich musste. Und jede Woche war wieder eine neue Show gefragt. Irgendwann bist du ausgebrannt und unkreativ und machst einfach irgendwie weiter. Und das ist nicht gut. Deshalb habe ich aufgehört, für Gay-Klubs zu arbeiten.

Singst du in deinen Shows eigentlich selbst?

Nein, ich mache alles lieber als selbst zu singen.

Warum?

Ich habe keine Singstimme. Dominik Locher wollte, dass ich in „Hate“ live singe. Ich sagte ihm: „Schätzli, wenn ich singe, rennen die Besucher mitten im Stück panisch aus dem Saal.“ Nein, das war keine Option. (lacht) Ich bediene mich gern anderer Elemente wie beispielsweise Intro- oder Background-Videos, die auf die Show abgestimmt sind, auf die Lyrics, auf die Outfits.

Du engagierst dich sehr für die LGBT-Community und warst einer der Moderatoren für das Forum „Let’s talk about Sex and Drugs – Zürich“. Was ist dir dabei wichtig und was möchtest du erreichen?

Während ich den Abend mit meiner Freundin, der Drag Queen „Vicky Goldfinger“, moderierte, spürte ich, dass dieser Event einer der wenigen der letzten fünf Jahre war, der mich unglaublich glücklich machte. Denn es geht um die Community, darum, dass Menschen frei von der Leber erzählen können, was sie bedrückt und was sie erlebt haben. Und alle die dort sind, verstehen das. Es gibt keine Vorurteile, ob das jetzt gegen Chemsex ist oder gegen Drogenkonsum. Wir haben uns einfach nur gegenseitig zugehört und uns Tipps gegeben. Ich bin sehr froh, dass wir ein solches Forum in Zürich anbieten können, das die Community wieder zusammenführt.

Hast du ein Schlusswort? Etwas, dass dir wichtig ist, noch zu sagen?

Das Thema „Ehe für alle“ liegt mir sehr am Herzen. Ich finde es wichtig, dass die Menschen der LGBTIQ+ Community wahrgenommen werden, als das, was sie sind: Menschen. Und dass wir die gleichen Rechte bekommen wie alle anderen. Wir wollen keine Sonderrechte und haben auch keine Sonderwünsche. Es geht uns nur darum, dass wir gleich behandelt werden, wie jeder andere auch, der nicht zu dieser Community gehört. „We are all humans.“

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