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Was ist der Wert eines Menschen?

Was ist der Wert eines Menschen?

Ich höre die Menschen vom Verfall unserer Werte sprechen. Davon, dass der Mensch selbst zunehmend an Wert verliere. Was ist denn der Wert eines Menschen? Eine uralte Frage, die Philosophen seit ewigen Zeiten umtreibt.

Perspektivenvielfalt

Ich habe beobachtet, dass wir Menschen verschiedene Perspektiven oder Kombinationen dieser Perspektiven einnehmen, um zu definieren, was der Wert eines Menschen ist – von anderen und von uns selbst.

Manche schätzen den Wert nach den Tugenden eines Menschen ein, seinem Charakter, seinem Umgang mit anderen Menschen und mit Ereignissen in seinem Leben, seinem Beitrag zur Gesellschaft oder seiner eigenen Entwicklung.

Ein Grossteil unter uns bewertet den Wert eines Menschen nach seinem Beitrag zu unserer Wertschöpfung. Und so scheint es grosse Unterschiede zu geben zwischen Menschen auf Arbeitssuche, Managern, Hausfrauen, selbständigen Unternehmern oder (noch unentdeckten) Künstlern. Zwischen Generalisten und Spezialisten, zwischen Akademikern und Analphabeten. Andere wiederum werten Vermögen, Einkommen und Einfluss eines Menschen.

Einige beurteilen den Wert eines Menschen bereits vor seiner Geburt, sei es bei Trisomie 21 oder bei unerwünschten weiblichen Föten in einzelnen Kulturkreisen. Bleiben wir kurz bei der Gesundheit. Haben Menschen (Männer) mit prächtigem Bierbauch einen geringeren Wert als durchtrainierte „Ich fahre jede Woche mindestens 100 km mit meinem Mountainbike“?

Wiederum andere begutachten in ihrem Wertevergleich das Geschlecht eines Menschen, seine Nationalität oder Hautfarbe, sein Alter oder seine sexuelle Orientierung.

Was ist der Wert eines Menschen?: Perspektiven von Menschen zum Wert von Menschen

Eine weitere beliebte Perspektive ist jene, die den Wert eines Menschen skalenartig festlegt zwischen jenen, die tief in Traditionen verwurzelt und denen, die offen für neue gesellschaftliche und technologische Entwicklungen sind, zwischen politischen Einstellungen und religiösen Glaubensrichtungen jeglicher Art (Anarchisten inbegriffen).

Es geht gar so weit, dass dem Wert eines Menschen ein Preis gegenübergestellt wird. Der Mensch als Ware. Was kostet eine Niere auf dem Schwarzmarkt, was kostet eine Frau und welchen Preis müssen Paare für ein Adoptivkind an Behörden und Institutionen im Ausland zahlen?

Ich habe diese unterschiedlichen Perspektiven in Gesprächen und Diskussionen aufgenommen. Am Ende können wir uns aber auf eines einigen. Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft erklärt in Artikel 7: „Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.“ Menschenwürde gilt hier als Rechtsnorm auf den Wert eines Menschen und ist absolut formuliert. Martin Ebel hält in diesem Zusammenhang in seinem Artikel „Wie viel ist ein Menschenleben wert?“ fest: „Wert und Würde des Menschen sind auch an keine Leistungen gebunden; jeder Mensch ist wertvoll allein dadurch, dass er Mensch ist.“

Ist dies wirklich so?

Nehmen wir einige Institutionen und Branchen kurz unter die Lupe. Unser Staat tätigt Investitionen in die Infrastruktur unseres Landes. Dabei sind Entscheidungen zu treffen basierend auf einer Kosten-Nutzen-Analyse und meist nach der Ethik des Utilitarismus: das grösstmögliche Glück für die grösstmögliche Zahl. Lohnen sich die Kosten für den Bau einer neuen Ampel mit Fussgängerstreifen an einer stark befahrenen Strasse im Verhältnis zu den vermiedenen Todesfällen? Die Kosten-Nutzen-Frage wird auch im Gesundheitswesen gestellt, etwa, ob sich eine Herzoperation an einem 78-jährigen Mann lohne. Versicherungen bemessen den Wert eines Menschen nach verschiedenen Berechnungsmodellen. Eines davon – relativ vereinfacht dargestellt – berücksichtigt neben Alter, Geschlecht und Gesundheit den Wertbeitrag zur Wertschöpfung in Form des Lohnes. Auf diese Weise gestalten sich auch die unterschiedlich hohen Entschädigungszahlungen an Hinterbliebene von Unglücks- oder Katastrophenopfern.

Ich erinnere mich an eine Umfrage im Kontext selbstfahrender Autos. Die Teilnehmer sollten moralische Dilemmata in einer Vielzahl von Szenarien lösen. Wen soll das Fahrzeug in einer tödlichen Gefahrensituation schützen? Die Insassen des Autos, bestehend aus einer jungen Frau und ihrer Grossmutter, oder den 50-jährigen Manager, der über den Fussgängerstreifen geht?

Entwicklung des Menschenwerts

In unserer Geschichte hat sich der Wert des Menschen über die Zeit als Folge gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen verändert.

Nun befinden wir uns inmitten der nächsten grossen Entwicklung, dem digitalen Wandel oder Industrie 4.0. Das positive Zukunftsparadigma (Utopie) geht davon aus, dass zwar viele Arbeitsplätze automatisiert und wegfallen, dafür aber neue Berufsfelder und damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Das negative Paradigma (Dystopie) sieht eine kommende hohe Arbeits- und Perspektivenlosigkeit voraus.

Welchen Einfluss wird die jeweilige Entwicklung auf den Wert des Menschen haben, auf unsere sozialen Normen? Wir haben die Möglichkeiten und rechtlichen Rahmenbedingungen, um die Antwort auf diese Frage selbst aktiv zu gestalten und zu prägen im Bewusstsein von Artikel 7.

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Gleichstellung betrifft Frau UND Mann

Gleichstellung betrifft Frau UND Mann

Diesen Mittwoch, am 8. März, jährt sich der Internationale Frauentag. Zeit, in der Presse Bilanz zu ziehen, darüber, was in der Zwischenzeit erreicht wurde (oder eben nicht). CEOs von Grossunternehmen erzählen von ihren Frauenförderungsprogrammen, von „Zeichen der Hoffnung“ und den Zielen, die sie sich auch für dieses Jahr wieder setzen. Ein kurzer Blick in die Statistik zeigt, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen seit 2011 in der Schweiz stagniert.

Gestatten Sie mir für einmal ein „Schwarz-Weiss-Statement“. Ich bin der Meinung, dass die Erreichung dieses Zieles sowohl Programme und Massnahmen mit Fokus auf Frauen ALS AUCH auf Männer notwendig machen.

… und gestatten Sie mir auch, meine Beobachtung in der vorliegenden Thematik auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie von Führungskräften zu reduzieren.

… und verzeihen Sie mir, dass ich mich spontan auf zwei, sehr kurz gehaltene, theoretisch ohne weiteres umsetzbare Gedankengänge beschränke. Gedankengänge, die sich darauf beziehen, dass Mütter und Väter eine echte Wahlmöglichkeit haben. Gedankengänge, die den steigenden Trend zu Teilzeitarbeit bei beiden Geschlechtern miteinschliessen und den, dass Väter vermehrt Anteil an der Entwicklung ihrer Kinder nehmen möchten.

1. „Führungspositionen im Teilzeitpensum sind normal.“

In den meisten Unternehmen, in denen ich tätig war, galt offiziell oder inoffiziell, dass die Reduktion des Arbeitspensums einen Karrierekiller darstellt. Dies betraf sowohl weibliche als auch männliche Führungskräfte. Der Glaube scheint sehr tief verankert zu sein, dass die mit Führungsaufgaben einhergehenden Aufgaben und Verantwortungen nur mit einem 100%-Arbeitspensum geleistet und getragen werden können.

Ich war als Führungskraft mit Vollzeitpensum teils sehr viel unterwegs und stand meinen Teams durchschnittlich an drei Tagen pro Woche zur Verfügung. Ich konnte meinen Führungsaufgaben und Verantwortungen ohne weiteres gerecht werden.

Aufgaben kann man delegieren und Verantwortungen übertragen. Die Menschen, die MANN oder FRAU führen, haben Stärken und Potentiale, die es zu stärken und freizusetzen gilt. Führungskräfte in Unternehmen sich wichtig, aber nicht grundlegend.

Ist es in Unternehmen normal, dass weibliche UND männliche Führungskräfte auch in Teilzeit tätig sind, können Mütter und Väter ihrem Karrierepfad weiterhin folgen UND ihrer Familie gerecht werden.

2. „Weibliche und männliche Führungskräfte verdienen gleich viel.“

In den zurückliegenden Jahren stellte ich fest, dass sich werdende Mütter und Väter in meinem Freundes- und Bekanntenkreis die immergleichen Fragen stellten.

Wer von beiden wird sein Arbeitspensum reduzieren? Wer verdient mehr? Die Rechnung ist in der Regel heute leider schnell gemacht. Verdienen Frauen und Männer in Führungspositionen gleich, stehen sie vor einer wirklichen Wahl, wer oder ob beide das Arbeitspensum reduziert. Geschlechterneutrale Lohnformeln bestehend z.B. aus Ausbildungen, Verantwortung, Erfahrung, Skills, und so weiter machen dies möglich.

… und gestatten Sie mir am Schluss noch eine etwas provokante, eher nicht im engeren Kontext stehende Frage zur Selbstreflektion. Weshalb echauffieren wir Männer und Frauen in unserem Land uns über die Kultur von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern, wenn wir in Wahrheit selbst in der Geschlechtergleichstellung nicht wirklich auf der Welle des Erfolgs und Wandels reiten?

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Von blöden Parlamentariern und einer radikalen politischen Neuordnung

Von blöden Parlamentariern und einer radikalen politischen Neuordnung

Juliane Kästner: Alles unterliegt unausweichlich dem Lebensverlauf von Aufwärtstrend, Höhepunkt und Abwärtstrend: der Mensch, aber auch Institutionen, Unternehmen, Weltreiche oder gar die Demokratie, sagt Philosoph Charles Handy in „The Second Curve – Thoughts on Reinventing Society“.

Von blöden Parlamentariern und einer radikalen politischen Neuordnung: Charles Handy in „The Second Curve – Thoughts on Reinventing Society“Um dem Abwärtstrends zu entrinnen, müsste eine zweite Kurve starten, bevor sich der Lebensverlauf der ersten Kurve auf dem Höhepunkt befindet. Nur so stünden Ressourcen wie Geld, Zeit und Energie zur Verfügung, um in die notwenige Neugestaltung zu investieren. Wie beurteilen Sie den aktuellen Entwicklungsstand der Demokratie? Befindet sie sich vor oder auf ihrem Höhepunkt oder bereits im Abwärtstrend?

Prof. Dr. Bruno S. Frey: Lassen Sie uns auf die Demokratien in den Ländern der Europäischen Union sowie in Ländern wie Norwegen oder der Schweiz konzentrieren.

Dann würde ich sagen, dass es enorm wichtig ist, dass wir die Demokratie weiterentwickeln. Und dies gilt insbesondere für die Europäische Union, die auch für das 21. Jahrhundert eine zukunftsweisende Richtung angeben sollte. Ihre Organisation enthält sehr wenig demokratische Elemente. Die Regierung, die Kommission, ist praktisch unabhängig von den Wählern. Das Parlament hat eine enorme Grösse und kann so leicht manipuliert werden. Diese Europäische Union, die heute im Zentrum Europas steht, ist keineswegs ein Idealbild der Demokratie für die heutige Zeit.

Wir müssen endlich beginnen, die bestehenden Demokratien auch auf nationaler Ebene weiterzuentwickeln in Richtung einer stärkeren Beteiligung durch die jeweilige Bevölkerung.

Dabei ich möchte betonen, dass es ganz entscheidend ist, nun nicht einfach nur über Referenden oder Initiativen abstimmen zu lassen, sondern dass vorher die Möglichkeit besteht, die Sachprobleme, die behandelt werden, ausführlich zu diskutieren. So können die Wählerinnen und Wähler die Vor- und Nachteile genau verstehen.

Wenn die Bevölkerung in einer repräsentativen Demokratie nun befragt wird, – und lassen wir kurz aussen vor, ob die Sachprobleme im Vorfeld ausführlich diskutiert wurden – besteht dann nicht die Gefahr von Protestwahlen? Die Bevölkerung wird nun erstmalig nach ihrer Meinung gefragt und …

… Ja, weil das politische Establishment auf die Anliegen der normalen Bürgerinnen und Bürger zuvor nicht gehört hat.

Vor einigen Jahren verfolgte ich im deutschen Fernsehen eine Politsendung, in der Jungpolitiker darüber diskutierten, ob Deutschland für eine halbdirekte Demokratie überhaupt bereit sei. Ob die eigenen Bürgerinnen und Bürger befähigt seien, „komplexe Themen“ zu verstehen und über diese abstimmen zu können.

Besteht denn die Vorstellung der Gegner direkter Demokratien darin, dass Menschen blöd sind?

Ich lehne eine solche Vorstellung entschieden ab. Wenn jemand blöd ist, dann sind es eher die Parlamentier. Diese sind ja für die aktuellen Probleme verantwortlich.

Zur Vorstellung, dass Parlamentarier allwissend seien… Es gibt empirische Evidenz dafür, dass sie über sehr wenig Wissen verfügen. Es sei denn, sie arbeiten in einer spezifischen Kommission, in der Fachthemen behandelt werden.

In Deutschland steht zwar im Grundgesetz, jeder Parlamentarier sollte nach besten Wissen und Gewissen entscheiden. Aber jeder weiss, dass nicht nach dieser Maxime gehandelt wird. Parlamentariern wird durch die Parteileitung vorgeschrieben, wie sie zu entscheiden haben.

Das Volk erkennt seine eigenen Probleme besser, als ein Parlamentarier, der bereits zu Beginn seines Studiums in eine Partei eintritt, anschliessend seine Zeit hauptsächlich in Sitzungen verbringt und – es tut mir leid, dies sagen zu müssen – wenig Ahnung hat von dem, was in der Welt passiert. Parlamentarier reden in ihren Sitzungen vor allem miteinander und wenig mit dem Volk selbst.

Aber sie können etwas hervorragend: reden. Das normale Volk hat demgegenüber noch andere Bedürfnisse und ist nicht so gut darauf trainiert, nur daherzureden.

Und dies führt leider dazu, dass man die Parlamentarier zu ernst nimmt. Die Bevölkerung kann sich vielleicht nicht so gut ausdrücken, aber das ist ja auch nicht ihre Aufgabe.

Bruno S. Frey gehört gemäss NZZ-Ranking zu den drei einflussreichsten Ökonomen der Schweiz und ist ständiger Gastprofessor für Politische Ökonomie an der Universität Basel. Er war als Professor an den Universitäten Zürich, Chicago und Konstanz tätig, an der Warwick Business School und als Gastprofessor an der Zeppelin-Universität. Bruno Frey setzt sich mit Themen der politischen Ökonomie wie Terrorismus oder Demokratie auseinander, mit Verhaltensökonomie, Glücksforschung oder Kunst- und Kulturökonomie. 2014 übernahm er als einer von drei Direktoren die Leitung des Center for Research in Economics (CREW) an der Universität Basel, sowie das Center for Research in Economics, Management, and the Arts (CREMA) in Zürich.

 

Nehmen wir doch kurz Frankreich als Beispiel. Welchen Weg würden Sie für die Einführung einer halbdirekten Demokratie vorschlagen?

Ich würde zuerst bei den Gemeinden beginnen und auf dieser Ebene Abstimmungen durch die Bevölkerung durchführen und Referenden ermöglichen.

Gleichzeitig würde ich energisch dezentralisieren. Eine Dezentralisierung im ernsthaften Sinne bedeutet immer, dass die Regionen oder dezentralen Einheiten ihre eigenen Steuern erheben dürfen und über ihre eigenen Ausgaben beschliessen können. Das ist das Entscheidende.

Als dritte Stufe würde ich schliesslich Volksabstimmungen auch auf Ebene des Nationalstaats Frankreich vorschlagen.

Wenn wir die Schweiz anschauen, so wird davon gesprochen, dass es in der zurückliegenden Zeit zu viel Abstimmungen gegeben habe, dass die Menschen davon müde geworden seien. Sehen Sie Entwicklungspotential der halbdirekten Demokratie in der Schweiz?

Wir können in der Schweiz innerhalb von vier Jahren etwa über 40 bis 50 Angelegenheiten entscheiden. Ein deutscher Bürger darf in vier Jahren ein einziges Mal über eine Angelegenheit entscheiden. Und dass dann die Wahlbeteiligung in Deutschland höher ist, als im Durchschnitt in der Schweiz, ist offensichtlich.

Es gibt bei uns Abstimmungen und Referenden, die wichtig sind und andere, die weniger wichtig sind. Und da sehen wir etwas sehr Interessantes. Bei wichtigen Abstimmungen, zum Beispiel ob die Schweiz der Europäischen Union beitreten oder ob die Armee abgeschafft werden soll, geht die Stimmbeteiligung stark nach oben. Und bei anderen Angelegenheiten, die eben nicht sehr wichtig sind, ist die Stimmbeteiligung eher niedrig. Und das ist für mich ein Zeichen einer lebendigen Demokratie.

Und ja, das demokratische System der Schweiz sollte dringend weiterentwickelt werden. Ich schlage insbesondere vor, den ausländischen Einwohnerinnen und Einwohnern schrittweise ein Stimmrecht einzuräumen. Schrittweise bedeutet nach meinem Vorschlag, dass der Stimme eines Menschen, der seit zwei Jahren in der Schweiz lebt, ein Gewicht von 20 Prozent gegeben wird, nach fünf Jahren vielleicht 50 Prozent und nach zehn Jahren volles Stimmengewicht. Im ersten Moment klingt dies vielleicht kompliziert. Aber im Zeitalter der digitalen Welt sollte das kein Problem darstellen.

Die ausländischen Einwohner werden dann auch beginnen, sich mehr für die politischen Themen in der Schweiz zu interessieren.

Ich habe diesen Vorschlag bereits in der Neuen Zürcher Zeitung geäussert, aber dieser hat nicht sehr viel Zustimmung gefunden, weil er vielleicht doch zu revolutionär erscheint.

Würde die SVP dann nicht gleich mit ihrer Angst vor Unterwanderung hausieren, mit der Angst davor, von Ausländern unterwandert zu werden, die dann auch noch das politische System nach ihren Vorstellungen verändern können?

Ich sehe nicht, dass mein Vorschlag dazu führen könnte, das „Schweizertum“ auszulöschen. Das Schweizer System bewährt sich im Grossen und Ganzen recht gut. Und das stellen auch unsere ausländischen Einwohnerinnen und Einwohner fest.

Dass bei uns der Personenverkehr gut funktioniert oder die öffentliche und soziale Sicherheit hoch ist, hat nichts mit Schweizer Genen zu tun. Ausländische Einwohner erkennen, dass es sich in der Schweiz um ein politisches und gesellschaftliches System handelt, welches in einiger Hinsicht besser funktioniert als zum Beispiel in Spanien oder Italien.

Wenn sich diese Menschen dann politisch beteiligen können, können sie so auch ihre Zustimmung zu unserem System ausdrücken.

Seit einigen Jahren debattiert man über alternative Wirtschaftsordnungen. Sehen Sie in diesem Kontext auch alternative politische Systeme zur Demokratie?

Ich sehe neue Arten der Dezentralisierung basierend auf Problemen. Was wir heute vorfinden, ist eine Dezentralisierung nach historischen Grenzen. Das Gebiet des Vorarlbergs gehört beispielsweise zu Österreich und nicht zur Schweiz, Schaffhausen gehört nicht zu Baden-Württemberg sondern zur Schweiz.

Ich würde es gern umgekehrt auf Basis aktueller Probleme gestalten. Die Alpen beispielsweise haben Probleme mit Verkehr, Umwelt oder Entvölkerung. Zu deren Lösung könnten wir Einheiten bilden, politische Körperschaften, welche die richtige territoriale Ausbreitung haben. Und da würde eben zum Beispiel Österreich, die Schweiz, Frankreich und Italien dazugehören, aber ganz eindeutig nicht Estland oder Portugal.

Die Europäische Union hat meines Erachtens nicht die richtigen Entscheidungsgremien. Die Institution in ihrer Gesamtheit sieht es für sinnvoll an, über Sachthemen, welche die Alpen betreffen, zu befinden. Iren und Letten entscheiden dann über Lösungen zu lokalen Umweltproblemen in den Alpen.

Die Schaffung der richtigen politischen Körperschaften wäre mein Idealbild. Wir hätten dann sehr viele unterschiedliche Körperschaften in unterschiedlichen Grössen. Umweltprobleme könnten rein lokal durch kleine Körperschaften gelöst werden, Probleme des Freihandels durch eine grosse politische Körperschaft. Das wäre meine radikale Neuordnung der Politik der Zukunft.

Was passiert dann mit den Nationalstaaten?

Ich würde die Nationalstaaten nicht abschaffen, weil man dies schwer kann. Aber ich würde sie der Konkurrenz mit politischen Körperschaften unterziehen. Diese neuen föderalen Körperschaften heissen FOCJ, Functional Overlapping Competing Jurisdictions.

Wenn die neuen Körperschaften lebendig werden, dann werden die Nationalstaaten allmählich selbst an Bedeutung verlieren.

Müsste eine Körperschaft, die nach der Erfüllung ihres Zwecks, respektive nach der Lösung der ihr angetragenen Probleme, sich dann nicht auch selbst wieder auflösen?

Ja, das ist sehr wichtig. Körperschaften können ihre eigenen Steuern erheben und über ihre Ausgaben entscheiden. Gemeinden als Mitglieder dieser Körperschaften können jederzeit austreten, wenn der jeweilige Zweck erfüllt ist oder sie mit dem Fortschritt der Problemlösung nicht zufrieden sind.

 

Lieber Herr Frey, ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen für dieses interessante Gespräch.

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Liebe Populisten und liebe Mitläufer

Liebe Populisten und liebe Mitläufer

Ihr (Populisten) versucht, uns Menschen in ein postfaktisches Zeitalter zu führen. Ein Zeitalter, in dem Ihr Emotionen mehr Gewicht gebt als Fakten, in dem Ihr die faktische Wahrheit mit Eurer gefühlten Wahrheit ersetzt und das herausfiltert, was Euch gefällt.

Ihr versprecht, Mauern zu bauen. Ihr propagiert den Austritt aus der Europäischen Union. Ihr sprecht von einem Kampf für die Zukunft des eigenen Volkes gegen… Islam, Flüchtlinge… oder kurz: gegen „Andere“.

Eure Dramaturgie

Ihr (Populisten) schürt zuerst Angst und benutzt Naturkatastrophen als Metapher: „… gigantische Migrantenwellen, die hier ankommen….“ (Marine Le Pen, Front National) oder „… dass dieser unsägliche Asyl-Orkan über Europa hinwegfegt…“ (Björn Höcke, AfD). Damit wollt Ihr erreichen, dass Menschen die aktuellen Probleme als grösser wahrnehmen, als sie sich in der Realität tatsächlich darstellen. Die Menschen sollen sich machtlos fühlen.

Ihr droht dann den Untergang an: „Frankreich wurde verletzbar gemacht. Es muss sich wieder bewaffnen.“ (Marine Le Pen, Front National) oder „Das ist eine feindliche Übernahme.“ (Heinz-Christian Strache, FPÖ). Damit wollt Ihr erreichen, dass sich die Menschen verloren fühlen, denken, dass sie sich im Krieg befinden.

Ihr inszeniert Euch schlussendlich selbst als die Helden, die uns alle erlösen, von den von Euch ausgedachten – postfaktischen – Wahrheiten: „Wir werden den Islam besiegen.“ (Geert Wilders, Party of Freedom) oder „Ich werde mit Euch für die Zukunft unseres Volkes und unserer Kinder hier kämpfen.“ (Björn Höcke, AfD). Damit wollt Ihr erreichen, dass die Menschen denken, dass Ihr die Einzigen seid, die das Problem erkannt haben und die zu unserer Rettung eilen.

Eure Lösungskonzepte

Ihr (Populisten) greift Lösungskonzepte auf, die sich in unserer geschichtlichen Vergangenheit nicht bewährt haben.

1. Mauerbau: Zu was hat der Bau der Berliner Mauer geführt oder die „Abschottung gegen äussere Feinde“ von Kuba oder Saudi Arabien? Zum Beispiel zu einem ununterbrochenen Strom von Republikflüchtlingen – trotz Todesopfern in der „Sektorengrenze“. Zu wirtschaftlich kollabierten Ländern, zu Menschenrechtsverletzten, Gewalt und Willkür gegen das eigene Volk.

2. Austritt aus der Europäischen Union: Zu was hat das Hegemoniestreben der Nationen in Europa geführt? Zum Beispiel zum Dreissigjährigen Krieg und einem Europa, dass mehr als ein Jahrhundert benötigte, um sich von dem wirtschaftlichen und sozialen Ruin zu erholen.

3. Kampf gegen die „Anderen“: Zu was hat uns unser Denken und Handeln „Wir sind besser als die Anderen“ geführt? Zum Beispiel zu Millionen von Todesopfern durch Religions- (Kreuzzüge) und Ideologienkriege (Faschismus, Kommunismus).

Ihr (Mitläufer) wollt bewusst manipuliert werden. Ihr wollt nichts sehen und nichts hören. Ihr jubelt Populisten zu, die mit Euren Emotionen spielen und die alte, nicht funktionierende Lösungskonzepte propagieren.

Wir als Gemeinschaft bestehen glücklicherweise nicht nur aus Gestrigen und “Neue-Lösungen-Muffeln”. Wir haben auch Menschen unter uns, die sich ernsthaft mit neuen Wegen auseinandersetzen und nach Lösungen suchen, wie beispielsweise Margrit Osterloh und Bruno S. Frey zum Thema Flüchtlingspolitik. Sie schlagen einen Eintrittspreis für Flüchtlinge vor, einen Betrag, der anstatt wie heute an die Schlepper an das Empfängerland fliesst, in das die Flüchtlinge dann gefahrenlos einreissen und darin arbeiten können. Auf der einen Seite besteht dadurch für jedes Empfängerland die Möglichkeit, mit der Höhe des Eintrittspreises die Migration zu regulieren. Auf der anderen Seite werden Migranten als souveräne Akteure behandelt, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können.

Wir können das alle tun. Wir können jederzeit nicht nur unser eigenes Schicksal, sondern auch das von uns als Gemeinschaft in die Hand nehmen. Zukunftsgerichtete Ideen und Lösungsvorschläge als Diskussionsgrundlage bestehen ja bereits viele.

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Roboter werden uns helfen unseren sozialen Zusammenhalt zu stärken

Roboter werden uns helfen unseren sozialen Zusammenhalt zu stärken

Juliane Kästner: Sie beziehen sich auf das „Empowered Individuum“ in Ihren Studien Technology as an enabler of sustainable well-being in the modern society. Warum sind wir als Individuen heute mehr empowered?

Risto Linturi: Wir sind empowered als Kunden, als Bürger. Als Kunden sind wir sehr massgebend, weil wir Preise vergleichen und nach den Produktmerkmalen suchen, die wir wünschen. Wir sind aber auch sehr einflussreich als Bürger. Ich hörte von einem Teenager aus London. Sie schrieb eine Software, um all die Menschen in New York und London zu befähigen, die mit einer Geldstrafe für falsches Parken belegt wurden. 250’000 Menschen nutzen diese Software in den zurückliegenden drei Jahren, um ihre Parktickets anzufechten. Und in 160’000 Fällen gewannen sie vor Gericht.

Viele Produkte, Prozesse und Dienstleistungen werden nutzlos. Ich las über ein kleines Gerät, welches imstande ist, Medikamente zu produzieren, biologische Substanzen wie Insulin zu synthetisieren. Andere günstige Geräte analysieren Lebensmittel. Warum würden wir dann noch landes- und Europaweite Organisationen benötigen, die dies für uns tun, wenn es so viel billiger ist, diese Analysen zu Hause durchzuführen?

Geräte zur Blut- oder DNA-Analyse oder für medizinische Selbstdiagnosen werden immer günstiger. Wir Menschen müssen für diese Dienstleistungen keinen Arzt mehr konsultieren.

Derartige Entwicklungen verändern die Beziehung zwischen Individuum und Arzt. Selbst die Erforschung seltener Krankheiten ändert sich. Patienten schliessen sich einem Netzwerk an, analysieren sich selbst, experimentieren an sich selbst und teilen dann ihre Informationen mit dem Netzwerk. Sie scheinen Resultate zu erzielen, die denen von Laboratorien gleichkommen.

Sie erwähnen die Veränderung von Beziehungen. Was denken Sie über die Beziehungen in traditionell geführten Grossunternehmen, zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem oder zwischen Gleichgestellten?

Ich denke, dass eine Internet-Strategiespiel-Umgebung so viel besser ist als ein ERP-System in grossen Unternehmen. Weil ein solches aufzeigt, wie ein Mitglied einer Gruppe die Anderen beeinflusst, wo jeder am hilfreichsten ist und zu welchen Resultaten das eigene Verhalten und die eigenen Handlungen gegenüber Personal und Kunden führen. So wären sie in der Lage zu kommunizieren und voneinander zu lernen.

Sie können dies mit der Selbstorganisation von Ameisen in einem Ameisenhügel vergleichen. Grossunternehmen erreichen diesen Grad der Flexibilität und des Empowerments ihrer Mitarbeiter nicht. Sie nutzen nicht den Verstand ihrer Mitarbeiter; sie benutzen sie als Roboter. Sie verfügen einfach nicht über Software, die für eine Strategiespiel-Umgebung ausgereift genug ist. Sie haben keine Vision und sie verstehen nicht, wie ein Ameisenhaufen funktioniert. Ich denke, dass die Mehrzahl der Manager nicht einmal versteht, dass ein Ameisenhaufen selbstorganisiert ist, dass er keinen Boss hat und dass er sich dennoch rascher und ökonomisch effizienter organisiert als eine Armee.

Aber die Frage bleibt bestehen: Wer ist für die Unternehmung verantwortlich, für Bilanzierungszwecke und für das Management der Verantwortlichkeiten? Die Ameisen haben in ihrem DNA-Bauplan positive Summenspiele verankert. Die Summe der Ergebnisse ihrer negativen und positiven Entscheidungen und ihres Verhaltens ist am Ende positiv.

Vielleicht ist es keine natürliche Entwicklung, sich von einem Dinosaurier- zu einem Netzwerksystem zu verändern. Und vielleicht ist es für Grossunternehmen auch sehr schwierig, ihre Produktionslinien und Kulturen zu ändern, um sich an das neue Paradigma anzupassen.

Wenn der Wechsel zum neuen Paradigma für grosse Unternehmen so schwierig ist, denken Sie, dass diese dann langfristig überleben werden können?

Nun, was bedeutet überleben? Vergleichen wir ein Grossunternehmen mit einem Auto. Man kann alle inneren Bestandteile herausnehmen, so dass nur die Hülle, die Karosserie bestehen bleibt. Und dann packt man einen neuen Motor und neue Komponenten hinein und sagt, dass es dasselbe Auto ist. Die grossen Unternehmen mögen als Brands überleben. Aber die Paradigmen und Strukturen müssten sich ändern, wie dies IBM tat.

Ich danke, dass sich die meisten Unternehmen wieder erfinden müssen. Lassen Sie uns einen Automobilhersteller nehmen. In 20 Jahren wird er schliesslich seine Autos pro Stunde vermieten, anstatt diese zu verkaufen. Und er wird sich selbst versichern. Wenn man eine Million Automobile besitzt, dann teilt man bereits die Risiken. Da benötigt es keine Versicherungsgesellschaft mehr.

Die Geschäftsmodelle verändern sich und die Regierungen finden es zunehmend schwerer, mit derartigen Entwicklungen umzugehen.

Risto Linturi aus Finnland ist nicht nur mehrfacher Unternehmer und Vorstandsvorsitzender in der Informationstechnologie-Branche. Er ist auch Futurist und untersucht die Einflüsse der technologischen Entwicklungen auf uns als Gesellschaft. Risto Linturi war Berater von multinationalen und nationalen Institutionen und viele seiner Ideen und Innovationen haben sich weltweit durchgesetzt.

Sie erklären in Ihren Studien auch, dass die Technologien es uns ermöglichen werden, Energie, Nahrungsmittel, Kleider oder Maschinen lokal mit Hilfe von Robotern selbst herzustellen.

Da wir zunehmend empowered sind, werden wir Dinge für unsere Nachbarn und für uns selbst tun, zu denen wir zuvor nicht fähig waren, da uns dazu das Wissen und die Werkzeuge fehlten. Und nun werden diese Werkzeuge zahlreich zur Verfügung stehen wie 3D-Drucker oder Roboter, die Mahlzeiten vorbereiten.

Wenn ich einen Roboter hätte, der Das Abendmahl malen könnte, könnte ich ihn meinen Nachbarn leihen und er malt ihnen grosse Kunst auf ihre Wände oder ihr Auto. Und einer meiner Nachbarn würde mir dann seinen Roboter ausleihen, dazu ausgerichtet zu mauern und mir eine Garage zu bauen. Wir werden Experten für Duzende von Jobs aufgrund unserer Roboter. Und wenn wir diese miteinander teilen, kann ein kleines Dorf alles herstellen.

Und dazu wird nicht einmal viel Geld benötigt, da die Roboter relativ billig sind und ihr Gebrauch keine Grenzkosten verursacht. Die einzigen Kosten, die anfallen, sind jene für die Rohmaterialien.

Dieses Null-Grenzkosten-Gesellschaft, geprägt durch Jeremy Rifkin, ist wahrhaft mächtig. Die Herausforderung für die Regierungen wird dabei sein, dass sie aus einer solchen Gesellschaft kein Einkommen erzielen, keine Steuern: Die Roboter werden untereinander geteilt und es findet keine finanzielle Transaktion statt. Die Regierungen werden ihre finanziellen Mittel lediglich noch von den alten Dinosauriern erhalten.

Welche anderen Einflüsse könnte diese Entwicklung auf die heutige Globalisierung haben?

Roboter werden zunehmend fähiger und flexibler. Sie ermöglichen es kleinen Gemeinschaften, Produkte lokal herzustellen mit niedrigen oder keinen Transportkosten. Die hohe Leistungsfähigkeit und Flexibilität der Roboter resultiert auch in kürzere Produktionsläufe. Produkte können an die sich verändernden Bedürfnisse im Markt sehr einfach, schnell und preiswert angepasst werden. Gemeinschaften innerhalb einer Nation spezialisieren sich; ihre Produkte sind auf die lokalen Bedürfnisse zugeschnitten.

Der physische Handel mit Produkten zwischen Nationen wird zurückgehen. Der Handel mit Rohmaterialien hingegen wird weiterbestehen, jedoch auf einem sehr viel geringeren Niveau als heute.

Zusammenfassend wird die Entwicklung der Technologien es Gemeinschaften ermöglichen, lokal zu produzieren und Schwerpunkte auf kulturelle Unterschiede und eine lokale Identität zu legen. Die Sharing Economy beruht auf Vertrauen und wird die Zusammenarbeit und damit auch den sozialen Zusammenhalt kleiner Gemeinschaften stärken.

 

Herzlichen Dank, Herr Linturi, für dieses Interview.

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